Arnaud Develay: Die Rechtsstaatlichkeit im Zeitalter des imperialen Zusammenbruchs

Arnaud Develay: Die Rechtsstaatlichkeit im Zeitalter des imperialen Zusammenbruchs
III. Kischinauforum
Arnaud Develay, international tätiger Anwalt, Washington und Paris

Aus dem Englischen übersetzt von Alexander Markovics

Hallo und ein großes Dankeschön an alle, welche sich die Zeit genommen haben, nach Kischinau zu kommen und am intellektuellen Austausch mit uns teilzunehmen.

Ich möchte meinen besonderen Dank unserem Freund und Kameraden Iurie Rosca für die vorbildliche Organisation dieser wichtigen Veranstaltung aussprechen.

Das Kischinauforum zielt darauf ab, all jene zusammen zu bringen, welche das flackernde Licht der Souveränität und nationalen Unabhängigkeit in unseren Ländern erhalten wollen.

Achtzehn Jahre nach den Angriffen auf das World Trade Center am 11. September 2001 scheint der globalistische Leviathan den Prozess der gnadenlosen Zerschlagung der internationeln Rechtsordnung, welche aus den Ruinen des Zweiten Weltkrieges geboren worden war, nur zu beschleunigen.

Während sie beginnen zu begreifen, dass ihr Projekt der Massenhypnose, welche auf die Massen angewandt wurde, aufgrund seiner inneren Widersprüche langsam scheitert, haben die Proponenten der aufgezwungenen unipolaren Ordnung ihre wahren Absichten in ihrem Drang zur Zerschlagung der Regeln des internationalen Rechts offenbart.

Zwar waren diese Regelungen niemals perfekt, doch hatten sie zumindest den Vorteil eine relative Stabilität bieten zu können. Doch kaum zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer droht die Gelegenheit zur Errichtung einer stabilen Ordnung nun endgültig zu verschwinden.

Demnach stellt sich das scheinbar Goldene Zeitalter, welches von Fukuyama als das Ende der Geschichte und der Triumph des Liberalismus erdacht worden war, als ein großer Betrug heraus, der nun zur Verelendung von Millionen Menschen führt, die einst die Mittelklasse bildeten.

Die Entfesselung dieser Gewalt wurde durch eine systematische Zerstörung der rechtlichen Grundlagen im Kern der politischen Ordnung unserer ehemals souveränen Nationalstaaten möglich.

Dies führt uns zur Frage, wie wir in diese verfahrene Situation gekommen sind.

Als der russische Präsident die Frage eines Journalisten beantwortete, welches Ereignis des 20. Jahrhunderts er als am tragischsten ansehe, sagte er gerade heraus: „Das Ende der Sowjetunion.“
Wladimir Putin hat bereits vor langer Zeit begriffen, dass nur ein machtbasiertes Gleichgewicht zwischen den mächtigsten Nationalstaaten zu einer Einhaltung des internationalen Rechts führen kann.

Die grundlegenden Lehren des internationalen Rechts greifen erst dann, wenn die Rivalitäten zwischen Mächten dazu tendieren einen heilsamen status quo festzuschreiben. Die zwei Säulen des internationalen Rechts werden in den Doktrinen pacta sunt servanda und opinio juris verkörpert.
PACTE SUNT SERVANDA legt den Schwerpunkt auf die Einhaltung von vertraglichen Versprechungen zwischen Staaten.

In dieser Hinsicht, also wenn Staaten in einem bilateralen und multilateralen Rahmen agieren, wird gewährleistet, dass die Staats-Parteien in gutem Glauben verhandeln, um einen Konsens über jede einzelne Klausel der Vereinbarung zu erzielen.

Das Wiener Übereinkommen über Diplomatische Beziehungen ist ein hevorragendes Beispiel der richtigen Anwendung von PACTA SUNT SERVANDA.

Gewiss würde eine Staats-Partei dieser Konvention niemals die Klausel verletzten, welche die konsularische oder diplomatische Immunität eines Mitglieds jedes diplomatischen Korps auf dem Territorium der Gastnation sicherstellt.

Diese Prinzipien werden auch dann angewandt, wenn die ungeheuerliche Natur eines schweren Verbrechens ersichtlich wird, welches auf dem Boden der Gastnation durch Repräsentanten eines fremden Staates begangen wurde.

Solch eine Missachtung dieses Kernprinzips der Immunität vor Strafverfolgung würde den sündigenden Staat der Gefahr aussetzen, dass sein eigenes diplomatisches Personal wechselseitig von jeder anderen Vertragspartei festgesetzt werden kann, um eine deutliche Botschaft der Abmahnung an jeden zukünftigen Verletzer dieser Norm zu schicken.

Das Prinzip der Reziprozität ist daher eine logische Konsequenz aus dem Respekt vor den Verpflichtungen des Vertrages der als Verstärker von PACTA SUNT SERVANDA funktioniert und das Verhalten der Vertragsstaaten bei der polizeilichen Behandlung der Beziehungen zwischen Staaten regelt.

Diese ungeschriebenen Regeln sind so tief verwurzelt im Internationalen Gewohnheitsrecht, dass es nicht notwendig erscheint, sie explizit in den Vorschriften zu Verträgen anzuführen.
Die Doktrin OPINIO JURIS ist die zweitwichtigste Säule des Internationalen Rechts.
Es gründet das Internationale Gewohnheitsrecht auf zwei Elemente.
Das erste Element ist die Existenz einer weitgehend geteilten Praxis des Internationalen Rechts durch die Gemeinschaft der Nationalstaaten.

Das zweite Element ist die allgemein geteilte subjektive Anwendung der Prinzipien des Internationalen Rechts durch Nationalstaaten, welche über den Konsens der rechtlichen Interpretationen und Bedeutungen entscheiden.

Damit ein Vertrag in seinen grundlegenden Prinzipien Rechtswirksamkeit gewinnt, ist es notwendig, dass er als ein integraler Bestandteil des Internationalen Rechts angesehen wird und somit nicht nur von den Vertragsparteien, sondern auch von der gesamten Internationeln Gemeinschaft der Nationalstaaten anerkannt wird, auch von jenen welche ihn nicht ratifiziert haben.

Darüber hinaus ist OPINIO JURIS von noch größerer Bedeutung in Fällen, wo das Recht schweigt.
Wo weder die Rechtssprechung noch das Positive Recht existieren, um ihr Licht auf die Praxis der Staaten zu richten, sprechen wir vom Status des NON LIQUET.

NON LIQUET könnte für eine Perversion des Rechts sorgen, weil es Staaten dazu verleiten kann, sich Freiheiten von bestehenden Rechtsprinzipien zu nehmen, welche an die Grenzen des rechtlich Legalen reichen.

Der unrühmlichste Fall dieser Perversion ist die Doktrin des sogenannten „feindlichen Kombatanten“.

Im Angesicht der Angriffe auf das World Trade Center führten die Vereinigten Staaten eine unilaterale Doktrin ein, welche es erlaubte die humanitären Rechtsprinzipien, die in der Genfer Konvention, aber auch im Internationalen Gewohnheitsrecht bestanden, zu verletzen, als sie ihren sogenannten Krieg gegen den Terror begannen.

Da sie sich in ihrem Handeln als einziger Hegemon ungestört fühlte, führten die USA die Maßnahme ein, dass Schutzrechte, die normalerweise militärischen Kombatanten zustanden, nicht länger auf Individuen angewandt werden sollten, welche im Verdacht standen als nichtstaatliche Akteure zu agieren und keine Unterscheidungsmerkmale zu tragen sowie nicht anerkannte Regeln des militärischen Kampfes anwenden würden.

Die Übernahme der Feindlichen Kombatanten Doktrin löste eine Reihe von Verletzungen des jus cogens aus, welche von der Verweigerung des Rechts auf einen fairen Prozess bis hin zum Recht auf einen Anwalt reichten, um Zugang zu belastenden Beweisen zu erhalten.
Um das Ganze noch gravierender zu gestalten, wurde die Erpressung selbst belastender Aussagen von den Angeklagten durch Folter von gegenwärtigen Chefs des CIA (Central Intelligence Agency) während einer seiner Anhörungen freimütig zugegeben.

Eine weitere Ebene der Illegalität wurde erreicht, als Washington sich dazu entschied ein Programm der sogenannten außergewöhnlichen Maßnahmen zu erlassen.

Diese von US-Geheimdiensten ausgeführten Operationen riefen eine Welle der Kritik und Empörung durch Rechtsgelehrte und ausländische Gerichte hervor, die sich für eine Inhaftierung der Rechtsbrecher und ihre Ausweisung einsetzten, damit sie einer gerechten Strafe zugeführt werden könnten – darunter befanden sich auch einige Staaten, welche als Verbündete der USA angesehen werden.

Der bedenklichste Beigeschmack einer solchen Rechtslosigkeit liegt darin, dass sie von einem der mächtigsten Staat der Welt (Gründungsmitglied der Vereinten Nationen und Inhaber eines permanenten Sitzes im Sicherheitsrat) ausgeführt wurde. Dies schafft einen Anlassfall, auf dessen Grundlage sich andere Staaten auch dazu veranlasst sehen könnten ähnlich zu handeln und dadurch das UN Weltsystem als ganzes zu unterminieren.
Sobald dieser Prozess unrechtmäßiger Rechtsmittel beginnt wird es schwierig, wenn nicht unmöglich, zum status quo ante zurückzukehren.
In diesem Zusammenhang kann man den unilateralen Rückzug der Vereinigten Staaten aus den Verträgen gegen die Weiterverbreitung von nuklearen Waffen besser verstehen, welche die INF und ABM Verträge darstellen.

Diesem Sachverhalt ähnlich ist der Druck, den Washington darauf anwendet um Teheran zu zwingen die JCPOA Verträge neu zu verhandeln, obwohl festgestellt wurde, dass der Iran in Übereinstimmung mit den Verträgen (welche durch niemand anderen als der Internationalen Atomenergie Behörde aufgesetzt wurden) handelt. Dies ist ein weiteres Beispiel für die erstaunliche Unverfrorenheit, welche die Außenpolitik von Washington erfasst hat.
Schlussendlich ist es der Anlassfall fortgesetzter Rechtlosigkeit, der einige Teile des tiefen Staates in den USA dazu veranlasst hat ein durch fabrizierte Beweise gestütztes Narrativ herzustellen, um die US Militärinterventionen im Irak, Lybien und vor kurzem auch Syrien zu rechtfertigen, all das mit der Unterstützung der Medienkonzerne.

Es sollte festgehalten werden, dass die Konzentration der Nachrichtenagenturen und Medienkonzerne in den Händen einiger Weniger, mit engen Verbindungen zur Rüstungsindustrie, die Aufgabe die öffentliche Meinung zur Akzeptanz plötzlich vom Zaun gebrochener Kriege in den letzten zwei Jahrzehnten wesentlich erleichtert hat.
Um ehrlich zu sein erscheinen Massenproteste, wie sie in Westdeutschland 1983 gegen die Mittelstreckenraketen stattgefunden haben, heute unmöglich.
Und es spielt auch keine Rolle, dass mehr als 15 Millionen Menschen gegen die anlaufende Invasion des Iraks demonstriert hatten, da dieses signifikante Ereignis kein einziges Mal von den westlichen Medien aufgeschnappt wurde.

Das Resultat dieser Serie von Ereignissen besteht darin, dass wir kaum 20 Jahre nach dem 11. September eine internationale Sicherheitsordnung vorfinden, die genau so fragil wie vor dem Zweiten Weltkrieg erscheint.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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