Gedanken während der Seuche Nummer 1 – Die schwarze Rache des Lichtgottes. Apolls Angriff.
Von Alexander Dugin.
Aus dem Englischen übersetzt von Alexander Markovics.
Hallo, ich habe mich dazu entschlossen, mit Ihnen meine Gedanken über die sich gerade ausbreitende Pandemie zu teilen. Ich habe mir natürlich eine Menge Gedanken darüber gemacht, was uns gerade passiert, wie jeder andere auch, und daher macht es Sinn eine Reihe von Gesprächen aufzunehmen, eine Serie von Vorlesungen über den Coronavirus, diese moderne Seuche und die Assoziationen, die im Geist eines Philosophen dadurch geweckt werden und über die Vorhersagen der Politikwissenschaftler sowie Experten im Bereich der politischen Philosophie und der Geopolitik hinsichtlich der Zukunft und wann das alles enden wird.
Ich schlage vor, dass wir all das diskutieren werden, also schreiben Sie mir in den sozialen Netzwerken, ich werde Ihre Fragen beantworten und mit Ihnen die interessanten Gedanken diskutieren, die Sie äußeren.
Aber lassen sie uns mit einer relativ grundlegenden Sache beginnen. Wenn wir uns den Anfang der Ilias ins Gedächtnis rufen, werden wir auf eine Situation stoßen, die dem, was jetzt passiert überraschend ähnlich ist. Dort ist Apoll, Apoll ist sehr dunkel, düsterer als die Sturmwolken, das heißt der Gott des Lichts, der Helligkeit, der Klarheit, der Gott der Beständigkeit ist wütend.
Interessant ist, dass er vom respektlosen Verhalten der Menschen gegenüber seinen Priestern gekränkt ist, den Priestern Apolls gegenüber. Das Ergebnis dieser Respektlosigkeit für die Achaier ist aber die Seuche.
Der Gott des Lichtes, der Musen, der Harmonie, der außergewöhnlichen Schönheit ist also die Quelle der Pest, die Quelle der Pandemie, welche die Achaier befällt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ereignet sich, als Apoll das Fest der Götter im selben Kapitel von Homers Werk besucht und alle Götter von ihren Sitzen aufspringen, weil seine Anwesenheit auf dem Fest für niemanden etwas Gutes verheißt. Dieser unheilvolle Aspekt des Gottes des Lichts, der Gerechtigkeit, des wahren Urteils in der griechischen Tradition ist sehr offenbarend. Er trägt die Plage, den Virus, Tod und Auslöschung. Warum tut er das?
Das ist der springende Punkt: Weil seine Priester respektlos behandelt wurden. Wenn wir von der spezifischen Geschichte Homers abgehen, können wir den philosophischen Mythos wie folgt formulieren: Der Gott des Lichtes, der Vertikalen, des Himmels, Hyberboreas bestraft die Menschheit, welche von einem vollkommen unpassenden Ding abgelenkt ist, welches die solare Achse in jedem von uns beleidigt.
Dann wird die Geschichte mit dem Coronavirus, der Pandemie, der Seuche, die die Menschheit dezimiert verständlich.
Apoll ist ein metaphysisches Symbol unseres Appells an uns selbst, an unsere innere Dimension gerade dann, wenn die Menschen gegen diese unsterbliche Seele sündigen, wenn sie zur Gänze von den Elementen der Unterhaltung absorbiert werden, der äußeren Welt, körperlichen Gelüste und dem ständigen Kreisen um die materiellen Güter, die jeder von uns erwirbt oder unzureichend erhält, oder mehr davon will, oder sie schneller ausgeben will oder sie irgendwie verwenden will.
Sobald die Menschen beginnen, um nicht-apollinische Werte zu Kreisen, sobald dieses Kreisen einen kritischen Punkt erreicht, schickt Apoll der Menschheit eine Seuche, denn das ist absolut wahr und logisch, weil die Plage die Menschen dazu bringt, wieder zu sich selbst zurückzukehren.
Dies wurde von Albert Camus in seinem Roman „Die Pest“ erwähnt. Er sagt, dass die Seuche eine Art zu denken ist, eine Einladung an uns ist, über die wichtigsten und grundlegendsten Dinge nachzudenken.
Er handelt nicht nur von den Quarantäne, sondern hauptsächlich von einer Begegnung mit dem Tod, denn wenn wir in einem normalen Zustand leben, erinnern wir uns nicht an unsere Glieder, wir vergessen den Tod, er scheint außerhalb unserer Wahrnehmung und Existenzzone zu sein. Und genau hier kommt die Pandemie, dann erscheint der Coronavirus, hier kommt die Seuche – und plötzlich kehrt der Tod zu uns zurück und wir kommen auf ihn zurück.
Dadurch kehren wir zur Essenz des Menschheit zurück, denn es ist kein Zufall, dass die Griechen die Menschen Sterbliche nannten, βροτοί.
Die Sterblichkeit des Menschen ist eine besondere Figur, seine Begrenzung, sie ist seine Formel, seine Grenzen – der Tod – denn im Angesicht des Todes erweitert sich unser Leben.
Das Leben macht nur dann Sinn, wenn es in Beziehung zum Tod steht. Heidegger sagte gegen Ende seines philosophischen Schaffens im 20. Jahrhundert, dass sich das Dasein als „Sein zum Tod“ definiere.
Unsere Präsenz in der Welt, unsere Präsenz hier, unser Denken bleibt an dem Platz, an dem wir sind, nimmt Bedeutung, Signifikanz und Gewicht nur dann an, wenn wir uns den Tod vorstellen.
Die Seuche oder der Coronavirus bringen uns dazu, sie bringen uns zurück zu unserem Dasein, eigentlich ist das alles eine Philosophiestunde.
Apoll ist der Gott der Philosophie, des Denkens, des Lichtes und er ist das Licht des menschlichen Gliedes, das in uns in dem Moment entfacht wird, wenn wir unsere Grenzen erreichen.
Es ist sehr interessant, dass das Wort Glied, welches im Griechischen peros als Entsprechung hat, Grenze bedeutet. Es scheint für uns alles unendlich zu sein (warum ist eine eigene Frage): Das Universum ist unendlich, die Materie ist unendlich und indem wir die materielle Unendlichkeit absorbieren, die unendliche Fragmentierung der Materie, werden wir selbst zu Sklaven der Unendlichkeit und diese Unendlichkeit wiederum lässt uns in die Falle der Entropie, der Unterhaltung, der Zerstreuung, wir vergessen uns selbst.
Und wir wollen ewig leben, daher sprechen wir über physische Unsterblichkeit, weswegen wir darüber diskutieren, unser Bewusstsein auf Cloudserver hochzuladen und unser logischen Denken dazu tendiert, mit der Unendlichkeit zu verschmelzen.
Aber die Griechen wussten, dass die Essenz des Menschen, des Geistes und Gottes die Grenze ist, nicht apeiron, nicht die Unendlichkeit, sondern die Endlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes, die Begrenztheit, diese Proportion von Leben und Tod, die Anwesenheit und Abwesenheit, die eine Grenze etabliert konstituiert die Essenz der prominenten Einheit.
Unsere Endlichkeit, unsere Begrenzung durch den Tod, bildet unsere Essenz, unsere Lichtessenz. Wenn wir also danach streben, von dieser Gebundenheit loszukommen, wenn wir versuchen mit der Unendlichkeit zu verschmelzen, verlieren wir uns selbst.
Jetzt passiert genau das und Apoll sendet uns diese Pest, um uns in Erinnerung zu rufen, dass wir sterbliche und endliche Kreaturen sind.
Wenn wir also den Coronavirus rein technisch bekämpfen, versuchen wieder gesund zu werden, unsere Verwandten zu retten, in Quarantäne zu sitzen (wobei all das natürlich getan werden muss), dann werden wir die eigentliche Lehre Apolls vergessen, wir werden die philosophische Hauptaussage des Coronavirus nicht verstehen: Dass wir endlich sind, sterblich und dass diese Sterblichkeit unsere Essenz darstellt.
Im Angesicht des Todes leben wir und wann immer wir auch wahrhaft leben, leben wir nur im Angesicht des Todes.
Sobald der Tod hinter dem Horizont verschwindet, verliert das Leben seine Schärfe, seine Präsenz, es breitet sich aus, fällt in die Pseudounendlichkeit der Unterhaltung, innere Sorgen, die immerwährende Verbreitung einer unendlichen Zahl kleiner Objekte, Aktionen, Schritten oder Gesten die uns anziehen.
In der Tat sammelt sich unsere Präsenz, unser Sein nur im Angesicht des Todes und nur in diesem Zustand. Im Angesicht unserer eigenen Grenze, sind wir dazu fähig, wir selbst zu sein, sind wir dazu fähig, als Volk zu existieren, unsere eigenen Gedanken zu sammeln.
Daher geht es nicht um Leben oder Tod, sondern um die Tatsache, dass eine Person nur an der Grenze zum Tod lebt und wenn sie diese verlässt, die Grenze vergisst, aufhört zu leben, sich ausbreitet und ein Verbrechen gegen sich selbst begeht. Eine Epidemie ist ein Weckruf an uns, ein letzter Aufruf zu unserer eigenen Würde zurückzukehren. Dies ist die philosophische Bedeutung der Seuche.
Es ist erstaunlich, dass wir am Moskauer Tschechow-Kunsttheater die Ausstellung „Apoll. Manifestation“ des bemerkenswerten Künstlers Alexei Belyaev-Gintovt genau in dem Moment eröffneten, als die Epidemie begann. Wir hatten nicht darüber nachgedacht, sondern hatten die Ausstellung bereits zuvor, gegen Ende des Jahres 2019 vorbereitet, aber es fiel damit zusammen und so geschah es, dass die Ausstellung „Apoll Manifestation“ genau in diesem Moment auf dem Weg war, am Moskauer Kunsttheater aufgeführt zu werden.
Offensichtlich haben wir nicht die Coronaviruspandemie verursacht, aber es ist offensichtlich, dass die Pandemie im metaphysischen Sinne, philosophischen Sinne mit der Gestalt des Apolls verbunden ist.
Ich denke, dass dieser Punkt vielleicht am allerwichtigsten ist: Wir müssen nicht nur darüber nachdenken, wie wir uns selbst vor dem Coronavirus retten, sondern warum und insbesondere aus welchem Grund er zu uns kam, wer auch immer hinter seinem Auftauchen steckt und was auch immer die Ursache dieser Pandemie ist, gleich ob sie natürlich ist oder von Menschen erzeugt wurde, das ist nicht wichtig, es ist ihr Sinn, der wirklich bedeutsam ist. Und hier kommen wir zum Telos, den Zweck von etwas, dazu müssen wir uns der Figur des Apoll zuwenden, welcher der Interpret und wahre Ursprung ist, die metaphysische Quelle der Pandemie, die den Menschen widerfährt. Sie ist eine Kur, wenn auch eine harte, eine uns gegenüber ausgestreckte Hand und Hilfe von der Metaphysik des Lichts. Ihr Zweck liegt darin, dass wir zu uns selbst zurückkehren können, dass wir unsere Grenzen schließen, unsere Häuser, damit wir unsere Augen schließen und sie auf unser Innerstes richten können.
Damit wir bei uns selbst bleiben, bei unserer unsterblichen Seele, welche wir in der postmodernen Kultur zu verlieren drohen, die unzertrennlich mit einem ständigen, immer tieferen Vorstoßen in unsere kulturelle Grenzüberschreitung verbunden ist.
Die Seuche ist ein Aufruf dazu, einen Schritt zurückzunehmen, wieder zu uns selbst zu werden, uns von der endlosen Entropie abzuschließen und klar, tragisch, durchdringend, zur selben Zeit, aber mit einer neuen inneren Hoffnung verbunden, unsere Endlichkeit zu erkennen.
Nur im Angesicht des Todes kann eine Person authentisch existieren und dazu muss sie ihm ins Angesicht sehen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute! Sie haben gerade ein neues Format gesehen und mit diesem Programm, dieser kurzen Ansprache, beginnt eine neue Serie von Gesprächen in der Ära der Pandemie, Vorlesungen in der Ära der Seuche.