Buchbesprechung zu Nick Land: Okkultes Denken

Buchbesprechung zu Nick Land: Okkultes Denken

Von Alexander Markovics

Die liberale Demokratie soll durch eine neokameralistische Monarchie mit einem CEO an der Spitze ersetzt werden, der Mensch verschmilzt mit der Maschine zum Übermenschen, die Zeitmagie von Hexen aus der Südsee wird zu einem Teil der Realität – all dies sind Inhalte aus einem neuen Buch, das wohl viele seiner Leser verwundert zurücklassen wird. Es stammt aus der Feder eines Mannes, der oft unter Drogeneinfluss geschrieben hat und begeistert von den Möglichkeiten der Technik und des Kapitalismus ist, ja sie sogar soweit vorantreiben will, dass sie den Menschen als Hindernis ihrer Weiterentwicklung beseitigen.

Im angelsächsischen Raum zählt er zu den wohl am meisten angefeindetsten und verteufeldsten der Gegenwart: Die Rede ist vom britischen Philosophen, Transhumanisten und Schriftsteller Nick Land (*17.01.1962) der gemeinhin als Vater des Akzelerationismus gilt. Darunter versteht man jene Strömung in der politischen Philosophie, die den Kapitalismus nicht etwa zerschlagen oder abschaffen will, sondern ihn im Gegenteil noch weiter zuspitzen und beschleunigen möchte, um den scheinbar stehen geblieben Fortschritt – siehe Francis Fukuyamas These vom Ende der Geschichte – vom Ballast des (linksliberalen) Universalismus zu befreien und zu neuen Höhen antreiben zu können. Bislang waren Lands Thesen – abgesehen von einzelnen Aufsätzen in Sammelbänden des postmarxistischen Merve Verlags – nicht auf Deutsch verfügbar.

Doch das ändert sich nun mit dem Band „Okkultes Denken“, der nun von Matthes & Seitz Berlin veröffentlicht wurde und Aufsätze des umstrittenen Briten aus den Jahren 1991 bis 2019 versammelt. Dabei wird Lands interessanter Werdegang nachgezeichnet: Ursprünglich Heideggerschüler – er verfasst seine Dissertation zu Heideggers Abhandlung Die Sprache im Gedicht von 1953 – entwickelte sich Land unter dem Einfluss des mystischen Marxisten George Battaile von einem Angehörigen des linksliberalen Establishments an der Universität Warwick, wo er bis 1998 Kontinentale Philosophie (also alle Strömungen der europäischen Philosophie die sich der angelsächsisch-analytischen Philosophie entziehen) lehrte, im Verbund mit der Feministin Sadie Plant und anderen Postmarxisten zunächst zu einem Prediger des Cyborg/Maschinenübermenschen im Rahmen der CCRU  – der Cybernetic Culture Research Unit. In dieser Gruppe lieferte Land nicht nur drogengesättigte Performances im Rahmen von Reden – so wälzte er sich einmal vom „Geist einer Schlange“ besessen auf der Bühne – sondern verwob Okkultismus, Science Fiction, Kybernetik und die feministische Schizoanalyse von Deleuze und Guattari zu einem eigenartigen Amalgam. Durch sogenannte Hyperstition sollen in seinen Texten fiktive Entitäten wie die Alten Götter aus dem Horroruniversum Lovecrafts und lemurische Zeitmagie quasi in die Realität herbeigeschrieben und geredet werden.

Wer bei diesen Zeilen mit der Wimper zuckt oder sich an den Kopf greift darf dabei nicht übersehen, dass dieser Wahnsinn Teil von Lands Kritik an der westlichen Philosophie und Vernunft ist, die er ebenso wie jede Form von Transzendenz zutiefst verachtet. So wie andere Proponenten der von ihm inspirierten Strömung der „Objekt Orientierten Ontologie“ und des spekulativen Realismus geht er von Immanuel Kants Idee des Ding-An-Sich, der Noumena, aus, der Objekte die außerhalb unserer Wahrnehmung existieren und verwirft jeden Gedanken an Gott, den er als Kontrollmechanismus des Menschen kritisiert. Die Ungeheuer und Abjekte die Land beschwört stehen explizit nicht im Dienste des Menschen, sondern zersetzen ihn, um eine andere Welt zum Vorschein kommen zu lassen, den Technokosmos, in dem nichts gegeben, aber alles produziert ist.

Damit folgt das okkulte Denken des britischen Philosophen nicht etwa einer völlig neuen Denkströmung, sondern setzt vielmehr die durch Autoritarismus und Ungleichheit definierte „Dunkle Aufklärung“ fort, als deren Urvater er Thomas Hobbes begreift. Freiheit und Demokratie sind nicht miteinander vereinbar – dies ist die Grundformel jenes Denkens, das Nick Land gemeinsam mit dem amerikanischen Philosophen und Softwareentwickler Curtis Yarvin (auch bekannt als Mencius Moldbug) und dessen Strömung der „Neoreaction“ (NRx) entwickelte. Da die Demokratie sich durch die ihr inhärente Korruption selbst vernichtet, schlägt Land die Errichtung einer neokameralistischen Monarchie vor, die über Anteilseigner verfügt und wie ein Konzern von einem CEO geleitet wird. Sich autoritäre Stadtstaaten wie Singapur und Dubai zum Vorbild nehmend, soll so der demokratische Wettbewerb ausgeschaltet werden, während die Effizienz des Staates und die Sicherheit massiv ansteigen sollen. Dadurch soll die Korruption eingeschränkt  und eine möglichst effektive Staatsführung garantiert werden – denn welche Firma handelt nicht zur Zufriedenheit ihrer Kunden um die Profite zu steigern? Wem das nicht gefällt, der kann einfach in ein anderes Land gehen, so die Vision der beiden Denker mit Einfluss auf westliche Hightechzirkel im Silicon Valley.

Der Hyperrassismus Lands besteht schließlich darin, dass der exzentrische Brite mit Wohnsitz in Shanghai die linksliberale Ideologie und ihren Gleichheitswahn frontal angreift und eine Höherzüchtung des Menschens mittels DNA Manipulation und Bionik fordert, an deren Ende es aber auch weder Weiße, noch Deutsche oder Europäer geben wird, sondern Menschen mit Gesichtstentakeln. Nick Lands Buch stellt also ein interessantes Beispiel dafür dar, wie man die Postmoderne weiterdenken kann, indem man die dunkle Seite der Aufklärung betont und den Okkultismus des Westens zu einem Ende im Abgrund führt. Als Patriot sollte man sich jedoch bewusst sein, dass am Ende dieses Denkens keine Rückkehr zur Tradition steht wie bei Alexander Dugin, sondern eine Welt in der die Dämonen regieren.

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