Ich bezeichne diese Bevölkerungsgruppe als „Nicht-Materialisten“. Oftmals handelt es sich bei diesen Menschen um Gläubige, aber das ist nicht immer notwendigerweise der Fall. Ein Nicht-Materialist ist jemand, für den sich die wichtigste Sache außerhalb der Materie befindet, jenseits der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit, jenseits der materiellen Unterstützung, der Effizienz, der Karriere, des Wachstums, außerhalb der physischen Materie. Nicht-Materialisten sind Menschen, die keine Anstrengungen unternehmen, an Gott zu glauben, an den Geist, die Engel, die Schönheit, die Moral, die Reinheit und die Ewigkeit, einfach weil sie ohne all das gar nicht existieren können. Und dann stellen Sie sich vor: Der Nicht-Materialist findet sich von Anfang an in einer Umgebung vor, in der allein der Materialismus triumphiert. Nicht allein der historische und dialektische Materialismus der Kommunisten, obwohl dieser eine schreckliche Sache ist, sondern auch der liberale Materialismus, der den Komfort, dem Wohlergehen des Individuums und sogar dem nationalen Materialismus vorzieht.
Die gesamte Schulbildung von der ersten bis zur letzten Klasse ist auf materialistischen Voraussetzungen aufgebaut (Dies gilt sowohl für die natur-, als auch für die geisteswissenschaftlichen Disziplinen). Wenn jemand seine Hand in der Physikstunde hebt und fragt „Was ist ein Engel?“, wird er ausgelacht werden. Atome, die außerhalb unseres Bewusstseins und unserer Seele existieren, werden hingegen als bedingungsloses Axiom der modernen Wissenschaft angesehen. Physiker sind in der Lage, zu scherzen und zu träumen sowie den Urknall mit Gott gleichzusetzen, aber für einen echten Nichtmaterialisten handelt es sich dabei um die schwerste geistige Beleidigung.
Im Institut, im Alltagsleben, bei der Arbeit, wenn wir einen Beruf wählen, wenn wir unsere Freizeitgestaltung planen, eine Familie in unserer Gesellschaft gründen, ist alles von einem totalen, radikalen und kompromisslosen Materialismus durchzogen. Und jeder der versucht das alles ernsthaft in Frage zu stelle, erwidert nur stotternd, dass auch die Nichtmaterialisten ein Existenzrecht haben, in diesem Moment kommen die schärfsten Gesetze der sozialen Ächtung ins Spiel. Eine solche Person wird als „Verlierer“, als „Sonderling“ oder als ein Idiot dargestellt. Denn am Ende des Tages stellt sie eine ernsthafte Gefahr für die Gesellschaft der Materialisten dar. Folglich sind sogar Priester dazu gezwungen ihre Worte so abzuwägen, dass sie den herrschenden materialistischen und theologischen Dogmen entsprechen, wenn sie mit modernen Menschen sprechen.
Und wenn ein Gläubiger die religiösen Prinzipien des Christentums erklärt – Gott, die Ewigkeit, die Auferstehung von den Toten, das Ende der Welt, die Unsterblichkeit der Seele, die zweite Ankunft – und er wahrhaft und geheiligt daran glaubt, dann ergeben sich daraus für die Institution der Kirche selbst, die auf einem gewissen Kompromiss mit der säkularen Gesellschaft aufbaut, ernste Konsequenzen. Gleichsam hatten in der Sowjetzeit die Kommunisten verboten, Marx zu lesen, Gott verbiete, dass ein Marxist von ihm etwas von seinen Thesen weglässt.
Die Nichtmaterialisten stellen jedoch eine ziemlich große Bevölkerungsschicht dar. Wenn wir aber berücksichtigen, dass der Glaube an ein Ideal, einen Wert, eine Mission, an das höchste Schicksal des Menschen, an Liebe, Opfer und Hingabe unter den Russen immer eine Charaktereigenschaft waren (obwohl diese nicht nur den Russen zu eigen ist), dann wird unter den Hieben des Materialismus einem großen Teil unseres Volkes alles geraubt: Das Recht auf Bildung (ausgehend von den Prinzipien des Materialismus), auf Kultur (der liberale Materialismus herrscht in der modernen Kunst vor), auf Arbeit (alle Berufe betonen nur ihre materielle Bedeutung), auf Erholung (Glauben Sie mir, Materialisten erholen sich im Gegensatz zu Nichtmaterialisten nur materialistisch). Der Staat ist ebenfalls eine rein materialistische Entität.
In der russischen Geschichte ist das jedoch nicht immer der Fall gewesen. Das Russische Reich verfolgte die große Weltmission zur Erhaltung des Heiligtums des orthodoxen Glaubens. Und genau das machte den Staat nichtmaterialistisch, zum Himmel hin orientiert. Das ist das Geheimnis der Monarchie, denn die Monarchie stellt einen Pfeil dar, der von der Erde aus Richtung Himmel abgeschossen wird. Entlang dieser Laufbahn wurde der rettende Mystizismus des russischen Staates aufgebaut – vom Heiligen Russland bis zur Doktrin „Moskau – Drittes Rom“. Der moderne Staat hat eine scharfe Trennlinie zur Tradition gezogen. Hier herrscht kein Ziel vor, keine Idee, er ist etwas Materialistisches, das von Materialisten für Materialisten geschaffen wurde. Die Nichtmaterialisten sind hier sogar in der Theorie abwesend.
Die Nichtmaterialisten müssen damit beginnen sich selbst als revolutionäre Klasse zu begreifen, im Namen hoher Ideale in den Aufstand treten, der religiösen Werte und der reinen Horizonte des Geistes. Wir werden nicht festlegen, welche Religion ein Nichtmaterialist ausübt – grundsätzlich sind die meisten Russen orthodoxe Christen. Hier ist eine ganz andere Sache viel wichtiger, nämlich, dass die Gläubigen selbst hauptsächlich Nichtmaterialisten sind und nicht materialistische Christen, materialistische Muslime und materialistische Juden.
Aus dem Russischen ins Englische übersetzt von Radical Outlook.
Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Alexander Markovics.