Der Tod der Demokratie und die Geburt eines sozialen Konservatismus

III. Kischinauforum 20-21.09.2019

Der Tod der Demokratie und die Geburt eines sozialen Konservatismus

Von Youssef Hindi

Übersetzt aus dem Englischen von Alexander Markovics

Seit dem Fall der Berliner Mauer leben wir auf dieser Welt unter der Hegemonie eines philosophischen, politischen, kulturellen und ökonomischen Liberalismus. Ein imperiales, oligarchisches und ungleiches System, welches unter der Maske der Massendemokratie stetig expandiert. Aber der Diskurs der herrschenden Klasse und der westlichen Medien kann nicht länger die Realität einer Diktatur ohne Grenzen und Gesicht verbergen.

Im Westen, insbesondere in der Europäischen Union, wird die Stimme des Volkes offen abgelehnt und delegitimiert, wenn sie nicht auf der Linie der oligarischen Agenda ist(wie es etwa bei französischen Referendum 2005, dem Brexit 2016 und der Wahl Trumps im selben Jahr der Fall war). Die Hyperklasse verbirgt nicht länger ihre Absicht, nicht den Aberglauben an die Demokratie abzuschaffen, sondern vielmehr die Interessen der Völker komplett zu ignorieren.

Demokratischer Aberglaube

Die Demokratie wird in der kollektiven Vorstellung mit den Prinzipien der Gleichheit und der Idee einer gleichmäßig unter den Bürgern verteilten politischen Macht assoziiert. Jedoch wurde diese Vorstellung im Antiken Griechenland, wo diese Idee geboren worden war, nie erreicht. Von Athen bis zu den repräsentativen Demokratien wurde diese immer von einer Serie von Exklusionen konstituiert: Sklaven, Arme, Frauen, Aristokraten… Und heute schließt die Demokratie das Volk selbst in seiner großen Mehrheit aus.

Bereits 1895 erklärte Gustave Le Bon, dass die Bedeutung der Begriffe Demokratie, Gleichheit, Freiheit, usw. eine derart vage Bedeutung haben, dass selbst große Wälzer nicht genügen um sie ausreichend zu definieren. Und dennoch, so warf er ein, umgibt eine wahrhaft magische Kraft diese kurzen Silben, als ob sie der Schlüssel zur Lösung aller Probleme wären. Dies liegt darin, dass diese Worte künstlich verschiedene unbewusste Aspirationen und die Hoffnung auf ihre Umsetzung vereinen.1

Auf genau diese semantische Vagheit setzen die Führer des Westens. Diese magische Kraft, diese Hoffnung auf Verwirklichung ist mit einer religiösen Dimension verbunden. Dies gilt ebenso für die gegenwärtige Krise, was sehr oft von Politikwissenschaftlern vernachlässigt wird. In der Tat ist die Demokratie, genau wie jede andere politische Ideologie, eine Form der Religion, welche nicht ihren Namen verrät. Sie lebt vom und durch den Glauben der Menschen an sie. Und durch die demokratische Wahl, einem wahrhaft religiösen Ritual in den neuen Tempeln, halten die Bürger Zwiesprache mit diesem Regime und bezeugen ihre Zustimmung zu- und damit ihren Glauben an dieses Regime.

Aber der Glaube wurde erschüttert und der hypnotische Effekt der „magischen“ Worte löst sich von Tag zu Tag mehr auf, da die demokratische Chimäre immer mehr verschwindet und die Verelendung der Völker zum Vorteil der internationalen Finanz sich immer mehr verschlimmert.

Heute besteht die Gefahr, dass das gesamte Gebäude der modernen Politik zusammenbricht, weil abgesehen von der Demokratie alle modernen Ideologien welche die politischen Parteien und Institutionen unterfüttert haben gestorben sind: Sozialismus, Liberalismus, links, rechts… Alles ist zur hohlen Phrase degeneriert der nur kleines Segmente der Bevölkerung verbunden bleibt.

Konservativer Liberalismus

Die Natur hasst die Leere: die Zersetzung der modernen Ideologien und die darauf folgende populistische Welle haben die herrschende Klasse dazu gezwungen eine falsche Alternative zu dieser Bedrohung zu schaffen.

Dieser neue politische Vorschlag nennt sich liberaler Konservatismus. Ein Bündnis aus zwei gegensätzlichen politischen Philosophien: Konservatisus und Liberalismus.

Jedoch stimmt diese gegenwärtige Strömung mit einer soziologischen Realität überein, der objektiven Allianz zwischen der traditonellen und der liberal-fortschrittlichen Bourgeoisie. In Frankreich zum Beispiel stimmten die Teilnehmer der Manif pour tous (das katholische und konservative Bürgertum, welches die gleichgeschlechtliche Ehe und das Adoptionsrecht für Homosexuelle ablehnte) 2017 überwiegend für den pro-LGBT Kandidaten Emmanuel Macron, in Versailles konnte er 76% aller Stimmen auf sich vereinigen. Und genauso stimmte die Bourgeoisie, welche überwiegend gegen die internationale Finanz ist, in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen für den selben Kandidaten, welcher von den Rothschildbankern finanziert wurde – 52% der Wähler von Mélenchon stimmten für Macron.

In den Vereinigten Staaten finden wir die selbe Zusammensetzung, bestehend aus Progressiven, Demokraten und konservativen Republikanern, welche mit einigen Ausnahmen gegen wirtschaftlichen Protektionismus sind, der es den Proletariern und den mittleren Klassen möglich macht sich aus der Armut zu befreien, aber auch die nationale Wirtschaft zu retten.

Der französische Philosoph Jean-Claude Michéa fasst den Widerspruch des liberalen Konservativmus folgendermaßen zusammen: „Es ist schwierig die Idee des Sonntags als Tag des Herrn oder als Tag der Familienaktivitäten mit der Vorstellung zu vereinbaren, dass er ein Arbeitstag wie jeder andere sei. Das wirtschaftliche Modell zielt zuallerst darauf ab, alles zu produzieren, zu verkaufen und zu kaufen, was man produzieren oder verkaufen kann, ganz egal ob es ein Flachbildschirmfernseher, eine Kalaschnikow oder der Bauch einer Leihmutter ist.“2

Für eine gewisse Bourgeoisie ist die Verbindung zur Religion nicht mit den positiven Werten verknüpft, welche sie in sich trägt und befördert, sondern genau das Gegenteil ist der Fall. In Frankreich zum Beispiel hat die anti-katholische, voltairistische Bourgeoisie des 18. Jahrhunderts sich im 19 Jahrhundert nur deswegen zum Teil rekatholisiert, nicht weil sie zum Glauben zurückgefunden hat, sondern aus der Furcht heraus, dass die soziale Revolution ihre Interessen gefährden könnte.3

Diese Bourgeoisie, welche sich zur selben Zeit mit den Weltbürgern verbündete, welche in Europa daran gearbeitet hatte die liberale Doktrin des Philosophen Claude Henri de Rouvroy de Saint-Simon (1760 – 1825) weiterzuentwickeln; half dabei die Dominanz des bürgerlichen Kapitalismus im 19. Jahrhundert herzustellen.4

Genau diese Bourgeoisie, die sich mit traditionellen Werten schmückt, ist in der Praxis viel liberaler als sie konservativ ist, viel materialistischer als religiös und das genaue Gegenteil der katholischen Soziallehre, welche das Geld verachtete und unter den Privilegierten ein Verantwortungsgefühl für die Armen weckte.

Weiters garantierte das Überleben der Soziallehre aus den Lehren der Kirche Stabilität in der Familie, lokale Zusammenarbeit und eine anti-individualistische Moral, einen Schutzschirm in der neokapitalistischen Gesellschaft, welche die Isolierung der Individuen, Egoismus, Massennarzissmus und die Entwertung jeder Arbeit, die sich nicht sofort in einen Vorteil verwandelt, befürwortete.5

Wenn ihre Sonntagsreden zu Ende sind, vereinen sich beide Seiten der Bourgeoisie, die linke und die rechte zum Schutz ihrer Geldbörsen gegen das nationale Interesse, gegen das Volk.

Der soziale Konservatismus als Mittel gegen den konservativen Liberalismus

Auf der Grundlage der historischen und soziologischen Realität ist die zu definierende und vorzuschlagende Alternative ein sozialer Konservatismus, also eine kohärente Kombination von traditionellen Werten und sozio-ökonomischen Protektionismus.

Die neue Trennlinie in allen entwickelten Ländern verläuft nach der selben ökonomischen und kulturellen Logik wie bei den Territorien welche in die wirtschaftliche Globalisierung integriert sind, namentlich den großen globalisierten Metropolen auf der einen Seite und den Kleinstädten, mittelgroßen industrialisierten Städten und den ländlichen Gemeinden auf der anderen Seite6: Von dort kommt die populistische Welle, wo die Mehrheit bestehend aus den Bauern und den Mittelklassen welche unter der Globalisierung leiden leben. Das sind die Leute zu denen Donald Trump während seinem Wahlkampf 2016 sprach und diese Leute haben ihm geholfen zu gewinnen.

Die westlichen Völker sind jetzt dafür bereit einem sozial-konservativen Diskurs zuzuhören und auf ihn zu antworten, aber der Fokus muss darauf liegen, was die unterschiedlichen Bestandteile der Mehrheitsgesellschaft miteinander verbindet: Sozio-ökonomischen und wirtschaftlichen Protektionismus.

Denn es ist eine Tatsache, dass die westlichen Gesellschaften zumeist schon so fragmentiert sind, aufgrund der Auflösung gemeinsamer Glaubensgrundsätze, dass es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, ist einen Zusammenhalt ähnlich der traditionellen Gesellschaften zu erzeugen.

Kommunismus und Republikanismus haben ein sofortiges egalitäres Paradies auf Erden versprochen. Der Kommunismus starb, weil er daran scheiterte dieses Versprechen umzusetzen und der Republikanismus befindet sich heute in der Endphase seiner Zersetzung.

Im Gegensatz dazu haben der Katholizismus und die Orthodoxie versprochen, durch die Taufe und gute Taten das Heil und ewige Glückseligkeit im Leben nach dem Tod zu bekommen, aber sie garantierten auch sozialen Schutz im irdischen Leben.

Wir müssen daher im zweiten Schritt eines sozial-konservativen Diskurs den Entwurf einer Verfassung integrieren, der sowohl auf dem Göttlichen- als auch dem Naturrecht basiert, genauso wie es von den Vätern des modernen Staates dem Franzosen Jean Bodin (1529 – 1596) und dem Engländer Thomas Hobbes (1588 – 1679) gefordert wurde, die erklärten, dass „Die Funktion des Souveräns in dem Zweck besteht, zu welchem ihm die souveräne Macht ermächtigt hat, nämlich Sicherheit für das Volk zu gewährleisten, an welches er durch das Naturrecht gebunden ist und er ist Gott Rechenschaft schuldig, dem Schöpfer des Rechts, und niemanden sonst.“7

Das ist es, was die Völker heute fordern: Anführer und Gesetze, welche ihnen im Angesicht der globalistischen Schlange Sicherheit gewährleisten.

Youssef Hindi

1 Gustave Le Bon, La psychologie des foules, 1895, Presses Universitaires de France, 1963, pp. 59-60.

2 Jean-Claude Michéa, entretien avec Laetitia Strauch-Bonart, « Peut-on être libéral et conservateur ? », Le

Figaro, 12 janvier 2017.

3 Emmanuel Todd, Qui est Charlie ? Sociologie d’une crise religieuse, 2015, Le Seuil, p. 53.

4 Bernard Lazare, L’antisémitisme son histoire et ses causes, 1895, réédition 2012, Kontre Kulture, p. 131.

5 Idem, Emmanuel Todd, Qui est Charlie ? Sociologie d’une crise religieuse, p. 118.

6 Christophe Guilluy, No Society, La fin de la classe moyenne occidentale, 2018, Flammarion, pp. 27-28.

7 Thomas Hobbes, Le Leviathan, chapitre XXX : De la fonction du Représentant souverain, 1651.

Kommentar verfassen