Zusammenfassung: Alain de Benoist liest “Marx von rechts”: Warenfetischismus und Wertkritik

Benoist liest „Marx von rechts“: Warenfetischismus und Wertkritik.

Von Alexander Markovics

Während Benedikt Kaiser sich in “Marx von rechts” der Geneaologie des rechten Antikapitalismus widmet, taucht Alain de Benoist direkt in die Materie des marxschen Denkens ein. Bevor er sich dabei den Schlüsselbegriffen des Warenfetischismus und der Wertkritik widmet, erklärt er wichtige Aspekte des marxschen Denkens, welche in der Betrachtung von rechts oft unter den Tisch fallen. Nach Benoist ist Karl Marx heute für viele Neuland. Denn Karl Marx zählt zwar zu den bekanntesten Soziologen und Wirtschaftstheoretikern überhaupt, wurde aber nur sehr selten tiefgründig gelesen – sowohl von seinen Anhängern, als auch von seinen Gegnern.

Karl Marx – ein missverstandener Denker

Mit dieser einfachen Feststellung weist Benoist darauf hin, dass die Rezeption von Marx vielerorts durch ein mangelhaftes Textverständnis bedingt ist und sein im wesentlichen posthum erschienenes Werk dadurch schwer zugänglich bleibt. (65) Nicht zuletzt deswegen, weil das Denken Karl Marx oft mit dem Marxismus gleichgesetzt wird. Schon der Historiker Michel Henry stellte 1976 fest, dass der Marxismus die Gesamtheit jenes Widersinns sei, der über Karl Marx geschrieben wurde. Doch wie kam es zur Entstehung des Marxismus? Sie erfolgt im wesentlichen über die Rezeption Marxs durch seinen Zeitgenossen, Freund und Unterstützer Friedrich Engels, Kautsky und Plechanov. Schließlich führte die Rezeption auf sein Denken durch Lenin und Stalin zur Einführung des offiziellen Marxismus. (66)

Das Denken Karl Marxs und der Marxismus – zwei unterschiedliche Dinge

Dabei wurde das Denken von Marx nicht nur stark simplifiziert, sondern auch weiterentwickelt, aber auch aus dem Zusammenhang gerissen. 1931 machte Stalin in seiner Rezeption des deutschen Denkers aus Marx den Begründer des dialektischen Materialismus, eine Bezeichnung, welche Marx selbst nie verwendet hatte. Im Gegenteil war Marx sogar einer der schärfsten Kritiker des Materialismus der bürgerlichen Gesellschaft, wie Benoist festhält. Marx Philosophie lehnt Idealismus und Materialismus gleichermaßen ab. Stattdessen macht er das Wesen der Dinge an der konkreten Aktivität der Individuen fest, also der
reinen Praxis im aristotelischen Sinne. Doch entgegen der Behauptung des bürgerlich-rechtsliberalen Denkers Siegfried Gerlich konvertiert Benoist nicht zum Denken der Alten Linken, sondern unterzieht Marx einer Kritik aus der Sicht der Neuen Rechten.

Karl Marx ist der tiefgründigste Denker unserer Zeit“ (Martin Heidegger)

Nicht umsonst bezeichnete der deutsche Philosoph Martin Heidegger das Denken Karl Marxs als das tiefgründigste unserer Zeit. Wobei er mit Tiefgründigkeit Vielschichtigkeit meinte. (79) Dabei weist Benoist auf die Unterteilung des marxschen Denkens nach Robert Kurz in einen exoterischen Karl Marx und einen esoterischen Karl Marx hin. Während es sich bei dem exoterischen Karl Marx um den Verfasser des Kommunistischen Manifests und Theoretiker des Klassenkampfes handelt, dem es vor allem darum ging eine politische Bewegung zu begründen, ist der esoterische Karl Marx jener, welcher das Kapital und die Grundrisse verfasste, der gereifte Marx, der sich verstärkt mit der Logik des Kapitals, also dessen, was den Kapitalismus zusammenhält beschäftigte. Der exoterische Marx beschränkt sich auf eine Kritik am Kapital aus der Sicht der Arbeit, indem er den Klassenkampf zum Antrieb der Gesellschaft macht. Der esoterische Marx hingegen hebt die gesellschaftlichen Formen des Lebens hervor, historisch für Kapitalismus spezifisch sind: Arbeit, Ware, Wert und Geld.

Benoist kritische Rezeption von Karl Marx

Benoist lehnt das teleologische Prinzip in Marxs’ Denken ab, welches er vor dem Hintergrund seiner Zeit in der ersten Hälfte des 19 Jahrhunderts verortet, was nicht zuletzt die Vorstellung des Urkommunismus als Garten Eden erklärt. Die Idee einer unausweichlichen Revolution hält Alain de Benoist dabei für den schwächsten Teil an Marx Theorie, da dieser den flexiblen Charakter des Kapitalismus nicht erkannt hatte. Wichtig ist auch anzumerken, dass für Marx das Kapital keine Sache, sondern ein soziales Verhältnis ist. Seine Kritik am Liberalismus, dem siamesischen Zwilling des Kapitalismus ist vernichtend. An ihm ist es die Vorstellung einer Gesellschaft, welche aus bloßen Individuen besteht, welche von Marx total verworfen wird. (68) Daraus folgt, dass Karl Marx auch ein unerbittlicher Kritiker der Menschenrechte ist, da diese ein abstraktes Individuum zur Grundlage haben. Der individuelle Wert, der von der Menschenrechtserklärung geschützt wird, ist nichts anderes als der bloße Marktwert des Menschen. Der Mensch der Menschenrechte ist der Homo Oekonomikus. Wer also kein alle kollektiven Bindungen ablehnendes Individuum ist, ist den Menschenrechten zufolge kein Mensch. Dies führt schließlich zum zeitlosen und ahistorischen Charakter der Menschenrechte, welche sie in den Gegensatz zu jeder anderen Rechtsordnung stellt, die historisch verwurzelt ist. Somit ist nicht der Bürger als citoyen, also als an kollektive Identitäten gebundene Person Mensch, sondern nur als wurzelloser, allein am Mehren des eigenen materiellen Wohlstands interessierter Bourgeois. Engels fügte diesen Überlegungen hinzu, dass das Reich der Vernunft nichts anderes sei als das idealisierte Reich der Bourgeoisie. In der Nachfolge Hegels stellt Marx fest, dass die Individuen frei von allen Bindungen sind und ihre einzige Verbindung untereinander nur noch durch den Warenaustausch gegeben ist. Hier hakt Marx ein: Er will sich nicht mit dem status quo des Liberalismus zufrieden geben, sondern neue soziale Bindungen schaffen, da der Mensch zuallererst ein Bedürfnis nach Bildung einer Gemeinschaft in sich trägt. Dabei wird die Vorrangstellung des Gemeinschaftlichen gegenüber dem individuellen Subjekt und des Sozialen gegenüber dem Gesellschaftlichen propagiert. Das Individuum verliert im Denken Marxs seine Position als Maaß aller Dinge. Es kann nur in und durch die sozialen Beziehungen existieren, welche es ausmachen.(69)

Ausbeutung und Klassenbegriff bei Karl Marx

Auch der Klassenbegriff bei Karl Marx bedarf nach Benoist einer tiefgehenden Erläuterung. Die Existenz der Klassen ist nach Marx an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden. Der Klassenkampf führt laut Marx zwangsläufig zur klassenlosen Gesellschaft. Das neuartige an seiner Kritik des Kapitals bestand darin, dass er es nicht aus moralischen oder juristischen Gründen kritisierte. Seine Analyse des Kapitalismus gründet vielmehr auf der wichtigen Erkenntnis, dass der Arbeiter nicht seine Arbeit, sondern seine Arbeitskraft verkauft. Die Ausbeutung basiert darauf, dass sie verwendet wird um Werte zu schaffen, die höher sind als der Einkaufspreis. Der Unternehmer eignet sich schließlich den daraus entstandenen Mehrwert an. Darin liegt der Widerspruch der Lohnarbeit. Diese Idee Marxs war nicht originell: bereits Aristoteles wieß auf den Unterschied zwischen natürlicher Wirtschaft (Ökonomik) und der Kunst des Gelderwerbes (Chrematistik) hin. Im Denken Marx wird diese Idee in der Unterscheidung zwischen Tauschwert und Gebrauchswert umgesetzt. Während der Gebrauchswert ein privates Bedürfnis befriedigt, sorgt der Tauschwert dafür, dass alle Waren gekauft oder verkauft werden. Während der Gebrauchswert der Deckung menschlicher Bedürfnisse dient, lässt der Tauschwert die menschlichen Bedürfnisse ins Geld übergehen. (70) Durch den Austausch werden alle konkreten Arbeiten in abstrakte Arbeiten umgewandelt. (71)

Der esoterische Karl Marx

Genau hier setzt der esoterische Marx an, auf den sich auch Alain de Benoist hauptsächlich bezieht, denn in der heutigen post-proletarischen Phase eines entterritorialisierten, spekulativen Kapitalismus, hat die Arbeiterklasse keine Bedeutung mehr, da die Produzenten in Verbraucher verwandelt wurden. Zwar spielt die Klassenzugehörigkeit, welche im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts bedeutend war, keine Rolle mehr, dafür behaupten sich alle anderen Formen der sozialen Identität mit immer größerer Kraft. Der esoterische Marx erschöpft sich nicht im Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit, sondern analysiert auch die Ware und den Fetischcharakter der Warenproduktion. Darüber hinaus stellt er die Frage nach der abstrakten Arbeit und dem Unterschied zwischen Wert und Reichtum sowie dem Wesen des Kapitals als automatischen Subjekt. Insgesamt haben wir es also mit einer Kritik zu tun, welche weit über die Ebene der Kassengegensätze hinausgeht. Mit der Frage nach der Wertkritik beschäftigt sich das erste Kapitel des Kapitals, welches von Louis Althusser als zu kompliziert und zu stark an Hegel orieniert kritisiert worden ist. (81) Dort setzt Karl Marx seinen Vorwurf an den Liberalismus fort, dass dieser frühere Macht und Abhängigkeitsformen durch neue Form der abstrakten Herrschaft ersetzt, welche vorgeblich „freien und gleichen“ Individuen auferlegt wird und zwar durch das Wertgesetz, welches die Form eines Sachzwanges annimmt. Dieser Gedanke wird von Marx im Kapital weiterentwickelt, indem er sich für den Inhalt der Produktion interessiert und nicht für ihren Vertrieb oder ihre Verteilung. Seine allgemeine Theorie von der Arbeit und von der ahistorischen Zentralität des Klassenkampfes gibt er langsam auf und konzentriert sich darauf, die Besonderheiten des kapitalistischen Systems herauszuarbeiten. Marx begreift, dass das Wesen des Kapitals in einer historisch spezifischen und der westlichen Moderne eigenen Praxis gründet und zwar in der Praxis der Arbeit sowie dass der Kapitalismus sich auf fetischisierte gesellschaftliche Verhältnisse stützt, welche weit über den bloßen Klassenkampf hinausgehen. (82) Die Substanz der Warenform nach Karl Marx ist die Arbeit. Sie besteht in einer objektivierten Form und stellt eine sozial-historische Vorstellungswelt dar, die Bestandteil gewisser sozialer Praktiken ist.

Das Doppelwesen der Ware

Die Ware besitzt ein Doppelwesen: Sie hat zugleich einen Gebrauchs- und einen Tauschwert. Einerseits ist sie ein konkretes Ding mit eigenen Eigenschaften. Andererseits ist die Ware ein rein quantitativer und abstrakter Ding-Wert. Doch mit der Moderne erlangt sie neue Bedeutung: Der einst wichtigere Gebrauchswert weicht nun dem Tauschwert. Das Neue am Kapitalismus ist, wie er den Austausch vor der einfachen Produktion privilegiert. Die Globalisierung dieses Austauschs wurde erst durch die Tatsache ermöglicht, dass der Mensch allmählich von seinen Existenz- und Produktionsmitteln getrennt wurde. Der Tauschwert, also der Wert den eine Sache erlangt, wenn sie ausgetauscht wird, wird anhand einer reinen universalen und abstrakten Menge festgelegt. Daher wird er mit einem Preis ausgedrückt. Damit stellt er einen Wert ohne Beziehung zu seinen besonderen Eigenschaften als Objekt dar, welche unermesslich sind. Demnach ist der Tauschwert ein Wert als solcher, der sich nur auf die Geldmenge bezieht, welche dem Preis entspricht. Wenn man also frei nach Jean Vioulac direkt für den Markt produziert, bedeutet dies für einen Äquivalenzbereich zu produzieren, wo alles gleich gültig ist. Ziel des Kapitalismus ist es, mittels des Tauschwertes alles in die Sphäre des Handels zu überführen, was sich ihr bisher entzogen hat. (83) Die Ware ist in der kapitalistischen Welt alles, was für den Besitzer keinen Gebrauchs-, sondern nur einen Tauschwert hat. Der Begriff des Tausches setzt selbst die Äquivalenz aller Dinge voraus. Der Austausch unterschiedlicher Dinge bedeutet, dass man sie alle auf ein neutrales, universales Äquivalent, das Geld, zurückführen kann. Dass Wesen des Wertes einer Ware liegt darin, dass sie ausgetauscht werden kann, noch bevor der Austausch erfolgt. Sie setzt die Existenz des Kapitals voraus, also kapitalistische Gesellschaftsverhältnisse, die bereits vorherrschend geworden sind. Während der Gebrauchswert keinen gesellschaftlichen Produktionswert besitzt, handelt es sich bei dem Tauschwert um eine Sozialisierung, welche der gesamten Gesellschaft ihre Struktur auferlegt. Die Ware besitzt Wert aufgrund ihrer materiellen Form und ihres Gebrauchswertes, sie ist aber ein Wert durch ihren Tauschwert, der sie zu einer sozialen Vermittlung macht. Der Tauschwert führt schließlich zum Fetischcharakter der Ware nach Marx, der im quasireligiösen dinglichen Verhältnis des Menschen zu seinen Produkten besteht. Das Verhältnis zwischen Mensch und Ware verhält sich genau so wie jenes eines Stammes zu seinem Fetisch. Durch den Warenfetischismus ergibt sich automatisch ein anonymer und unpersönlicher Charakter des kapitalistischen Systems, indem soziale Beziehungen nur durch Waren möglich sind und in dem jeder sich dem Gesetz des Marktes unterwerfen muss.(84) Dieser Fetischcharakter der Ware liegt vor allem darin, den kapitalistischen Kategorien der Ware und der Arbeit einen natürlichen Charakter beizumessen. Das Objekt ist in Wirklichkeit aber nur ein menschliches Erzeugnis, welchem plötzlich ein eigenständiges, unpersönliches Leben verliehen wird. Dadurch kommt es zu einer Umkehrung des Subjekt-Objekt Verhältnisses. Nunmehr werden die Menschen von den Dingen beherrscht, welche sie selbst produzieren. Normen werden nunmehr durch die Herrschaft des Wertes vermittelt, denn die Beziehungen der Menschen untereinander orientieren sich immer mehr an ihren Relationen zu Dingen oder Gegenständen. Das Ergebnis: Die Dinge steuern nunmehr die Menschen. Doch darf man nach Marx nicht den Fehler machen, diese Form der Herrschaft als bloße Klassenherrschaft aufzufassen. Denn Ware und Kapital bilden gemeinsam ein dynamisches System, dass Ziele und Mittel des menschlichen Handelns immer mehr bestimmt, auch wenn es keinen bestimmten Eigentümer hat.

Der Wert im Denken von Marx

Der Wert bei Marx ist nicht der materielle Reichtum, auch wenn der Liberalismus den Fehler macht beides miteinander zu verwechseln, ebenso nicht der Arbeitswert des Marxismus. Karl Marx unterscheidet deutlich zwischen Reichtum, der Menge an produzierten Gütern und dem Wert der durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt ist, welche die Arbeitskraft braucht um Produkte unter normalen Produktionsbedingungen herzustellen. (85) Das Wachstum des materiellen Reichtums kann sehr wohl mit einem Sinken des Wertes einhergehen. Dabei ist der Wert, welcher die beherrschende Form des Reichtums im kapitalistischen System bildet, eine sich selbst vermittelnde Form von Reichtum. Er bildet gleichzeitig die soziale Form, welche die Ware beim Austausch annimmt und sorgt dafür, dass alle Waren untereinander gleichwertig sind. Dadurch kommt es zum sozialen Verhältnis der Entfremdung. Nach Constanzo Preve liegt der große Verdienst von Karl Marx darin, die qualitative Kategorie der Entfremdung auf die quantitative Kategorie des Wertes aufgepfropft zu haben. Somit handelt es sich beim Kapitalismus um ein System, das auf dem sich selbst verwertenden Wert beruht. In diesem Aspekt unterscheidet sich der Kapitalismus von allen vorangegangenen Systemen. Denn zur Akkumulation des Kapitals kann es nur durch die Verselbstständigung und Selbstverwertung des Wertes kommen. Dementsprechend ist der Kapitalismus ein subjektloser Prozess, indem man keine Verantwortlichen oder vermeintlichen Herren identifizieren kann. Der Überwert oder Mehrwert stellt im Kapitalismus nicht nur den von Arbeitern für den Chef produzierten Überschuss dar, sondern auch eine beschleunigte Form des künstlichen Wachstums, die Teil der Unbegrenztheit des Kapitals ist. Der Profit fällt umso höher aus, je höher der Unterschied zwischen Geld und Mehrwert wächst. Dabei handelt es sich um den Modus zur Wertsteigerung des Kapitals. Eine bestimmte Menge an Wert (Kapital) kauft Waren um sich selbst zu produzieren und steigert auf diese Weise seine eigene Menge mithilfe des Mehrwerts. Die Ware wird zum Vermittler des Geldes, während früher das Gegenteil der Fall war. Der Wert ist gleichzeitig Ausgangs- und Endpunkt. Da die Warenproduktion nur noch Mittel ist, um immer mehr Geld zu produzieren, verändert die Ware die Welt, damit das Geld in ständig steigendem Ausmaß zu sich selbst zurückkehrt. Demnach zielt der Kapitalismus nicht auf die Befriedigung der Bedürfnisse ab, sondern auf Förderung des Austausches, damit jede Summe Geld sich in eine noch größere Summe Geld verwandelt. Dies impliziert die Forderung Geld zu einem Wert an sich zu machen. Dadurch kommt es zur Gefahr in einen Widerspruch zu geraten, da ein unbegrenztes Warenangebot nur einer beschränkten solventen Nachfrage gegenübersteht. Dieser mündet wiederum in einer Bewertungskrise, welche durch Überproduktion auf der einen und Überbewertung auf der anderen Seite hervorgerufen wird. Das nicht mehr bewertbare Kapital findet schließlich Zuflucht in der Spekulation.

Die Arbeit

Bei der Frage nach der Arbeit bezieht sich Alain de Benoist auf das „Manifest gegen die Arbeit“(1999) der Gruppe Wertkritik, welche sich weigert die Arbeit als ewige und universale Kategorie anzusehen, wie es noch der junge Marx getan hatte, da auch die moderne Arbeit Merkmale besitzt, welche sie von der traditionellen Arbeit unterscheiden. So wird darauf hingewiesen, dass die kapitalistische Gesellschaft die einzige Gesellschaft ist, in welcher Lohnarbeit zur einzigen Form der sozialen Interaktion zwischen ihren Mitgliedern gemacht wurde. Während im Kapitalismus soziale Beziehungen durch Arbeit konstituiert werden, trifft dies auf andere Gesellschaften nicht zu. Mit diesem hört die Arbeit auf Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur zu vermitteln. Stattdessen wird sie zur geschichtlich spezifischen und objektivierenden soziale Aktivität. (86)

Die Arbeit hört auf Mittel zu sein und wird als Produktionstätigkeit zum Ziel an sich, dass es dem Kapital ermöglicht sich zu bilden und sich anzuhäufen. Erst im Kapitalismus entfalten Ware, Zeit und Arbeit ihre volle Form. Erst in dieser Wirtschaftsform hat die Arbeit die Aufgabe Produkte zu erzielen, welche die Form der Ware annehmen. Dadurch markiert der Kapitalismus einen qualitativen Bruch mit sämtlichen anderen historischen Formen des gesellschaftlichen Lebens. (88)

Der Doppelcharakter der Arbeit besteht schließlich darin, dass konkrete Arbeit einen Gebrauchswert erschafft und abstrakte Arbeit einen Tauschwert. Dabei handelt es sich aber nicht um zwei verschiedene Formen von Arbeit, sondern um zwei verschiedene Aspekte jeder Arbeit. Während die erste Form von den tatsächlich produzierten und besessenen Gütern abhängt, bildet die zweite die selbst vermittelnde Form der sozialen Beziehungen. Abstrakte Arbeit lässt sich nur quantitativ schätzen, da sie eine einförmige homogene Zeit bedingt, für die Besonderheiten und Menschen unwichtig sind. (88)

Die Arbeit ist dann abstrakt, wenn man nicht mehr die konkreten oder besonderen Eigenschaften einer Tätigkeit betrachtet, sondern diese nur noch unter Verwertung des Wertes, die mit abstrakter und verdinglichter Zeitmenge gemessen wird, die für ihre Verwirklichung gesellschaftlich notwendig ist, beurteilt wird. Dabei steht die abstrakte Arbeit für eine neue Form der Interdependenz und gesellschaftlichen Vermittlung deren Produkte das Kapital und die Ware sind. Kennzeichnend für die Gesellschaft in der die Ware zur strukturierenden Grundkategorie der Gesamtheit ist, ist die Tatsache, dass Arbeit und Produkte nicht mithilfe traditioneller Macht verteilt werden. Die Arbeit selbst ersetzt diese Verhältnisse, indem sie als objektives Mittel funktioniert, mit dem die Produkte anderer erworben werden. Die neue Form der Interdependenz drückt sich dadurch aus, dass niemand konsumiert was er produziert, aber jeder Waren produziert und austauscht um die Produkte anderer zu erwerben. Indem sie als Mittler fungiert, erfüllen die Arbeit und ihre Produkte die Funktion, welche früher die der manifesten gesellschaftlichen Verhältnisse war. Der Widerspruch, auf den die Arbeit stößt, ist schließlich folgender: Bei der Warenproduktion besteht die Notwendigkeit, immer mehr Arbeitskraft aufzugeben, damit die Kapitalverwertung gewährleistet ist, um aber der Konkurrenz standhalten zu können ist man dazu gezwungen, die Produktivität zu verbessern. Es müssen also immer mehr Waren pro Zeiteinheit produziert werden, gleichzeitig muss aber auch die Arbeitszeit für die Produktion reduziert werden. Dadurch nimmt die strukturelle Arbeitslosigkeit überhand und damit die Zahl „überflüssiger“ Menschen. (89)

Die Produktivität steigert den Reichtum, aber nicht den Wert, da die Maschinen, welche die Arbeit ersetzen, selbst keinen Wert produzieren. Daher kommt es zu einem tendenziellen Rückgang der Profitrate, wie Patrick Artus feststellte. Der bedeutende Widerspruch besteht hier darin, dass die Verausgabung der menschlichen Energie zu einem Ziel an sich gemacht, gleichzeitig wird aber die Arbeit immer überflüssiger gemacht, da bei einer immer geringeren Arbeitszeit immer mehr produziert werden soll und die Arbeit weiterhin zu einer Grundlage des Wertes gemacht wird. Die riesigen Produktionsgewinne führen daher weder zu einer deutlichen Verringerung der Arbeitszeit noch zu einer deutlichen Steigerung des Wohlstandes. Die Dynamik des Kapitalismus untergräbt schließlich die Basis, auf der der Kapitalismus beruht. Aus der Sicht der Wertkritik kommt es hier also zu einer Erschöpfung des Kapitalismus, weil er in diesem Prozess seine objektive Grenze erreicht. (90) Er zerstört sich selbst, „(…) weil er selber die Grundlagen für die Entwertung des Wertes geschaffen hat und weil die Menge an überflüssiger Arbeit inzwischen das Arbeitsvolumen übersteigt, das durch die Marktexpansion erzeugt wurde.

Der Kapitalismus als entpersonalisierter Prozess, der Kampf gegen ihn ein Krieg gegen die Menschen und den Wert

Somit geht die Strömung der Wertkritik von einer klassischen Kritik des Kapitalismus weg hin zu einer Kritik der Arbeit. Sowohl Arbeiter als auch Kapitalisten sind nur Komparsen in einem Prozess, der sie übersteigt, der reale Klassenkampf ist nur ein innerer Widerspruch der Lebensweise, die ihnen gemeinsam ist. Die Arbeiterklasse ist ein zentrales Element des Kapitalismus, verkörpert aber nicht seine Negation. Somit ist der Gegenstand der Geschichte nicht die Menschheit und auch nicht das Proletaritat, sondern die Arbeit, deren objektivierte Form wiederum das Kapital ist. Hier liegt der Unterschied zwischen dem Denken Marx und dem Marxismus offen: Während Marx das Ziel hatte, eine globale Kritik der politischen Ökonomie zu formulieren, beschränkten sich die Marxisten darauf, eine alternative Volkswirtschaft zu erschaffen. Benoists Kritikpunkt ist weiters, dass sie den Fehler machte im Fortschrittswahn steckenzubleiben und sich nicht von der Religiosität der Produktion abzuwenden, welche mehr dem Kapitalismus als dem Sozialismus verpflichtet ist. (92)

Der Kapitalismus ist insofern überaus revolutionär, als dass er eine ständige Umwälzung der bestehenden Verhältnisse bewirkt und gleichzeitig die ihm zugrunde liegende Identität immer wieder neu bildet. Die Neigung zur Maximierung des Austausches geht dabei nicht auf eine böse Elite der Besitzenden zurück, sondern aus einer dem kapitalistischen System innewohnenden Tendenz. Die Entfremdung wird dabei von der Autobewegung der sich selbst erschaffenden Dinge produziert. Entscheidend an einer Kritik des Kapitalismus ist zu erkennen, dass er die Unbegrenztheit als Bedingung für sein eigenes Überleben in sich einschließt. Das Ergebnis ist eine Gesellschaft, in der das gesellschaftliche Leben auf der Vorstellung einer abstrakten Gleichheit beruht, in der nur das Kapital autonom ist und in welcher der Wert die soziale Bindung ersetzt. Oder um es mit Moishe Postone auszudrücken: „Der Kapitalform hängt der Traum einer äußersten Grenzenlosigkeit an, eine Phantasie von Freiheit als der völligen Befreiung von aller Stofflichkeit, von der Natur. Dieser >Traum des Kapitals< wird zum Alptraum für all das und all diejenigen, wovon das Kapital sich zu befreien versucht – den Planeten und seine Bewohner. Die Menschheit kann aus diesem schlafwandlerischen Zustand nur erwachen, wenn sie den Wert abschafft.“ (93)

Jede echte Kritik des Kapitalismus darf daher nicht in einer Kritik der Ausbeutung stecken bleiben, sondern muss auch Kategorien wie Ware, Wert und Arbeit behandeln. Der Kampf gegen den Kapitalismus wird somit zu einem Kampf gegen die Menschen und den Wert, kein Krieg zwischen Proletaritat und Bourgeoisie. Wie Maxime Ouellet sagt, ist die Befreiung der Gesellschaft vom Kapitalismus nur möglich, wenn man die Ontologie der Arbeit und des Wertes verlässt, welche den Menschen zu einem Krieg aller gegen alle antreibt und ihn der entpersönlichten Herrschaft des berechnenden Kalküls unterwirft. (94)

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