Die 4PT: Der Westliche Universalismus
Die 4PT: Der Westliche Universalismus
Er bildet die Grundlage aller westlichen Ideologien und der gesamten Moderne, doch kaum einer ist sich seiner bewusst: es ist die Rede vom westlichen Universalismus. Warum glauben wir, dass die westliche Gesellschaft die bestmögliche Form des menschlichen Zusammenlebens ist und alle anderen Zivilisationen der Entwicklung des Westens folgen müssen? Alexander Dugin gehört zu jenen Denkern auf der Welt, welche diesen geistigen Vereinheitlichungsversuchen des Westens aufs Schärfste entgegentreten. Deswegen zählt er heute unter Liberalen in Europa und den USA zu den am meisten verhassten Theoretikern der Welt. Der folgende Text stellt eine Zusammenfassung seiner Gedanken zum Westlichen Universalismus in seinem Buch “The Rise of the Fourth Political Theory. The Fourth Political Theory vol. II” dar.
Der Westen als geographischer Begriff und Zivilisation
Zunächst hält Dugin fest, dass der Westen nicht nur ein geographischer Begriff ist. Während der Westen je nach Standort auf dem Erdball etwas Relatives war, wurde er von den Europäern erstmals festgelegt. Die Nulllinie ist exakt in unserem Kontinent verortet. Während sich viele antike Zivilisationen dachten, dass sie der Mittelpunkt der Welt seien, setzte Westeuropa dies erstmals wissenschaftlich in die Tat um. Der Westen wurde zum Mittelpunkt der Welt.
Geschichtlich gesehen handelt es sich bei Europa um jenen Raum, der als erstes den Übergang von der traditionellen zur modernen Gesellschaft durchmachte. Die Tendenzen dazu waren schon von Anfang an in der europäischen Zivilisation und Kultur angelegt. Ausgehend von der griechischen Philosophie, dem römischen Recht und der Interpretationen christlicher Lehren durch die katholische Scholastik und schließlich dem Protestantismus erschuf Europa eine Gesellschaft, welche sich von allen anderen Gesellschaften abhob. (Dugin, The Rise of theFourth Political Theory, 2017 S.22)
Die Moderne als Geburtshelfer des Westens
Die entstehende moderne Gesellschaft zeichnete sich durch die folgenden Eigenschaften aus:
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Sie wurde auf einer säkularen (atheistischen) Grundlage aufgebaut,
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proklamierte dabei die Idee des sozialen und technischen Fortschritts,
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schuf die Grundlage für die gegenwärtige wissenschaftliche Weltsicht der Welt,
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entwickelte und schuf ein Model der politischen Demokratie,
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betrachtete kapitalistische (Markt-) Beziehungen als von höchster Bedeutung
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und kennzeichnete schließlich den Übergang von einer agrarischen zu einer industriell bestimmten Form der Wirtschaft
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Europa wurde zur Avantgarde des modernen Paradigmas. Die westeuropäischen Staaten England, Holland und Frankreich trieben das Paradigma der Moderne in Westeuropa voran. Dadurch wurden die Konzepte “Europa” und “Westen” synonym. (Dugin 2017, ebenda) Im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert wurde der Westen schließlich zu einer eigenen Zivilisation, welche mit Modernisierung, Fortschritt, sozialer, industrieller, wirtschaftlicher und technologischer Entwicklung gleichgesetzt wurde.
Gleichzeitig mit der Entstehung der westlichen Zivilisation formierte sich ein Selbstbewusstsein, welches in der Geschichte einzigartig war: Die westliche Entwicklung wurde nicht als etwas spezifisch europäisches erfasst, sondern zum allgemeinen Entwicklungsgesetz erklärt. Jeder muss ein Teil des Westens werden – ob er will oder nicht. Nicht nur die Europäer, auch alle anderen Völker müssen zwangsläufig in die Entwicklung der Moderne eintreten, weil es die “objektive Logik der Weltgeschichte” verlange, so die Idee der Aufklärung. Was der Fortschritt fordert, kann man ihm nicht abschlagen. (ebenda, S.23)
Andere Völker und Zivilisationen? Wilde und Barbaren!
Überall, wo die Europäer nun auf andere Zivilisationen und Völker trafen, welche traditionelle Kultur bewahren wollten, trafen sie dieselbe Diagnose: Bei den traditionellen Gemeinschaften handelt es sich um Barbaren, Wilde, Zurückgebliebene, einfach unzivilisierte und abnormale Menschen. Alle Menschen wurden von nun an mit westlichen Maßstäben gemessen – und wenn sie nicht westlich waren, dann mussten sie unbedingt die westliche Zivilisation übernehmen. Taten sie dies nicht freiwillig, wurden sie mit Gewalt dazu gezwungen. Je weiter die Völker und Stämme von der aktuellen Entwicklungsstufe des Westens entfernt waren, desto minderwertiger und primitiver waren sie in den Augen des Westens. (Vgl.Dugin 2017 S.24)
Meister und Sklave
Paradoxerweise liegen die Ursprünge des westlichen Universalismus genau in jenem Stammesleben, welches die Europäer nun hochmütig als zurückgeblieben betrachteten: Das Menschsein war immer mit der Zugehörigkeit zum eigenen Stamm verknüpft. Den Mitgliedern anderer Stämme wird in der Regel das Menschsein verweigert oder diese werden auf eine niedrigere Stufe reduziert. Durch diese Logik konnte man Angehörige anderer Stämme zu Sklaven machen, welche man aus der menschlichen Gesellschaft ausschloss und all ihrer Rechte beraubte. (S.25)
Die Philosophen Hegel und Kojeve wiesen auf die Parallelen zwischen der Sklaverei und dem Kolonialismus hin: So ist schon in der Stammesgesellschaft der Meister alles, aber der Sklave nichts. Er wird zum Besitz seines Meisters, wird rechtlich mit dem Vieh gleichgesetzt und schließlich zum Objekt der Produktion degradiert. Im Kolonialismus werden schließlich alle weniger entwickelten Völker zu den Sklaven der entwickelten.
Dies war nur möglich, da die Theorie des Fortschritts die Ausbeutung der Kolonisierten rechtfertigte. So tauchte in der Moderne die Sklaverei plötzlich wieder in den europäischen Kolonien in Amerika und später den unabhängigen USA auf. Mit dem Ende des Mittelalters und dem Beginn der Moderen wurde das Meister-Sklave Modell auf die ganze Welt übertragen.
Die Zurückweisung der Reichsidee und der westliche Nationalstaat
Neben dem Gedanken des universalen Entwicklungsmodells und der Meister-Sklave Beziehung stand eine weitere wichtige Entwicklung am Anfang der westlichen Zivilisation: Die Ablehnung der Reichsidee zu Beginn der Moderne.
Die Reiche, wie etwa das Römische Reich, waren in der Vormoderne immer ein eigenes Universum für sich. Man differenzierte dabei immer zwischen den Einwohnern des Reiches und allen, die außerhalb leben, welche meistens als Barbaren oder fantastische Kreaturen wahrgenommen wurden.
Die Untertanen des Reiches wurden somit zu Teilhabern an einem eigenem Universum mit Regeln und Codes, welche nur für diese galten. Jene die dies nicht waren, galten als Einwohner der globalen Peripherie, welche von diesem System nicht betroffen waren. Dies änderte sich erst, als man im Rahmen der Eroberung Südamerikas auf die Indianer traf und sich die Frage stellen musste, ob es sich auch bei ihnen um Menschen handelte – der Mönch Las Casas trug das Seine dazu bei, dass auch Indianer als Menschen wahrgenommen wurden.
Die Bürde des Weißen Mannes
Mit der Moderne jedoch begann man, den Fortschritt und die Entwicklung anderer Gesellschaften als europäische Mission festzuschreiben, die man unbedingt durchführen musste. Fortan wurden auch die anderen Völker dazu gezwungen, europäische Werte, Techniken und Gesellschaftssysteme zu übernehmen – die planetare Kolonialisierungsstrategie war geboren. Der westliche Imperialismus identifizierte von nun an seine eigenen Werte mit dem gesamten Universum und sah alle Zivilisationen als Wilde an, denen man die „Aufklärung“, den Fortschritt und Entwicklung näher bringen müsse, wenn nötig mit Gewalt. Am Ende dieses Zieles sollte eine Welt stehen, die genauso wie Europa denkt, lebt und isst. Eine Weltregierung, welche nur aus Sorge um die armen unterentwickelten Wilden diesen die westliche Herrschaft aufzwingt. Der humanitäre Imperialismus war geboren, der etwa nicht aus Machtkalkül mordet und unterdrückt, sondern weil er die Welt zu einem besseren Ort machen will. Mit der Absage an die traditionelle Gesellschaft und dem Beginn der Moderne begann der Westen seine Werte über den ganzen Globus zu exportieren. (Vgl. Dugin 2017 S.26)
Während man heute die zynischen Machtinteressen hinter den Kolonialplänen ohne Mühe erkennen kann, muss man sich vor Augen halten, dass dies die damaligen Zeitgenossen anders sagen. Für sie war der humanitäre Imperialismus im Dienste des Fortschritts kein Vorwand, sondern ehrlich gemeint. Der Westen glaubte wirklich an seine Auserwähltheit. Und dieser Glaube gab Matrosen, Abenteurern und Händlern zusätzliche Energie, um den Planeten zu kolonisieren. Doch was auf sie folgte, war nicht nur die Aufklärung, sondern auch die Raub und die zynische Ausbeutung ihres Landes. Mit der Modernisierung ging eine neue Welle des Sklavenhandels einher, mit der technologischen Entwicklung der kolonialisierten Territorien, die Zerstörung der einheimischen Kulturen, Traditionen und Lebensweisen.
Zwei unterschiedliche Wege in die Moderne: Endogene und Exogene Modernisierung
Doch vollzog sich die Modernisierung überall gleich, oder gab es mehrere Varianten dieses Prozesses? In der Soziologie unterscheidet man hierbei zwischen endogener und exogener Modernisierung.
Wie bereits erwähnt, ging die Modernisierung und damit der westliche Universalismus zuerst von Westeuropa aus. Eine endogene Modernisierung liegt in den Staaten des Westens vor, insbesondere England, Holland, Frankreich und den USA. Hier erfolgte die Modernisierung als logische Konsequenz eines beständigen Veränderungsprozesses politischer, sozialer, religiöser und kultureller Natur. Die Modernisierung war nicht Ergebnis einer aufgezwungenen Entwicklung, sondern geschah als logische Folge einer inneren Entwicklung der europäischen Gesellschaften. Nichtsdestotrotz vollzog sie sich in einigen europäischen Ländern langsamer als im Kerngebiet des Westens, etwa im heutigen Deutschland, Italien und Spanien.
Von einer exogenen Modernisierung spricht man hingegen, wenn Völker gegen ihren Willen modernisiert werden. Dies geschah in der Regel durch den Kolonialismus und die europäische Expansion. Denn mit dem Kolonialismus kam nicht nur der Sklavenhandel, sondern auch die westliche Technik, Logik, Ökonomie, rechtliche Institutionen sowie die sozio-politischen Strukturen des Westens. (Vgl. Dugin 2017 S.27) Die exogene Modernisierung entsprach dabei nicht der inneren Logik dieser Gesellschaften, welche ohne Druck von außen wohl auf ihrer traditionellen Lebensweise beharrt hätten. Die beeinflussten Gesellschaften entwickelten sich daraufhin zumeist zu einer Karikatur des Westens und sind zum Teil bis heute schwer traumatisiert, was ein Mitgrund für die Entwicklung im Nahen Osten, Afrika und Asien bis zum heutigen Tage ist:
„Consequently, the synonymous series modernization = Westernization can be continued: it is also colonization (the introduction of external authority). The oppressed majority of mankind, excluding Europeans and the direct descendants of American colonists, were subjected precisely this violent, coerced, external modernization. It impacted the traumatic and internal inconsistencies of the majority of contemporary societies of Asia, the East, and the Third World. This is sick Modernity, the West as caricature.“ (Dugin 2017, S.28)
Im Falle der exogenen Modernisierung kann man zwei Arten von Gesellschaften unterscheiden:
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Jene die politisch ökonomische Unabhängigkeit bewahrten
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Jene die sie verloren
Im zweiten Fall handelt es sich um reine Kolonien, in denen die Kultur der Autochthonen maximal noch in Reservaten gelebt wird. Diese können zwar noch archaisch sein (siehe Pazifik, Afrika, Amazonas), interagieren aber bereits mit den Technologien und leben innerhalb der Strukturen der Kolonisten. (Vgl. S.29)
Im ersten Fall hingegen spricht man von einer defensiven Modernisierung. Im Zuge des Modernisierungsprozesses hält die betreffende Gesellschaft eine Balance zwischen den eigenen Werten und Bräuchen sowie dem Import westlicher Technologien und Werte. Die Modernisierung erfolgt hier also nur teilweise und in defensiver Absicht, um die eigenen Interessen gegenüber dem aggressiv expandierenden Westen verteidigen zu können. Man spricht hier von einer „Modernisierung ohne Verwestlichung“ (Samuel P. Huntington) (Vgl. Dugin 2017 S.30)
Beispiele für eine vollzogene exogene Modernisierung sind etwa Japan, Russland und manche islamische Staaten, wie etwa Syrien oder der Iran. Dabei ist Russland das einzige Land, welches niemals vom Westen unterworfen und besetzt werden konnte.
Das große Problem für die betroffenen Staaten bleibt immer die Frage nach der Balance zwischen eigenen und fremden Interessen. Welche Übernahmen westlicher Werte und Institutionen gefährden meine Identität, welche muss ich übernehmen, um mein Gemeinwesen gegen den westlichen Universalismus verteidigen zu können? (Vgl. Dugin 2017 S.30)
Diese Frage bildet die Grundlage der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland, dem Iran und China.
Weltweit wurde der westliche Universalismus schließlich nach 1945 verstärkt zu einem Problem, als das Konzept des Westens auf alle entwickelten Länder angewandt wurde, welche den Weg des Kapitalismus gewählt hatten. In der bipolaren Welt von Jalta wurde der Westen liberaldemokratisch, wohingegen der Osten sich dem kommunistischen Machtbereich anschloss. Der Marxismus wurde zum bevorzugten Model der traditionellen Gesellschaften, da dieser sowohl eine Bewahrung der eigenen geopolitischen Interessen, als auch die teilweise Bewahrung der eigenen Traditionen ermöglichte. In letzter Konsequenz waren aber auch der Marxismus und der Sozialismus eine westeuropäische Theorie. Doch entgegen den Theorien von Karl Marx, welcher eine kommunistische Revolution in den entwickeltsten westlichen Staaten vorhergesagt hatte, ereignete sich die kommunistische Revolution nur in nicht-kapitalistisch entwickelten Staaten. (Vgl. Dugin 2017 S.32)
Von der Blockkonfrontation zur Unipolaren Welt
Fortan sprach man im Falle des um die UdSSR nach 1945 entstandenen Blocks vom Osten, welcher eine exogene Modernisierung verfolgte, welcher in Abgrenzung zum Westen zur „Zweiten Welt“ wurde. Die Erste Welt und somit die Spitze des „Fortschritts“ bestand aus Amerika plus Westeuropa, also allesamt Staaten, welche eine endogene Modernisierung durchgemacht hatten, mit der Ausnahme des mittels Atombomben zur Unterwerfung gezwungenen Japans, dass ab dem 19. Jahrhundert eine Strategie der exogenen Modernisierung verfolgt hatte. Bei der Dritten Welt hingegen handelte es sich um keinen Block im Sinne der Ersten oder Zweiten Welt, sondern vielmehr um eine Gruppe von Staaten, welche in der Entwicklung abhängt wurden und entweder vom Westen oder vom Osten abhängig waren. (Vgl. Dugin 2017 S.34-35)
Die politische Integration des Westens wurde dabei seit den 1960er Jahren von der Trilateralen Kommission koordiniert. Bei dieser handelt es sich um die bedeutendste Denkfabrik der Globalisierung, welche sich aus Industriellen, Bankern, Politikern und Ideologen der westlichen Hauptmächte USA, Europa und Japan handelt.
Bei der Globalisierung handelt es sich um die seit dem Zusammenbruch des Ostblocks in den 1990er Jahren offensiv vorangetriebene Verwestlichung der ganzen Welt in politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Hinsicht. Der Kalte Krieg war noch eine Auseinandersetzung zwischen Westen und Osten darüber, wer tatsächlich das Erbe der Moderne antreten und sein System auf globaler Ebene durchsetzen dürfte.
Statt „East vs. West“ lautete die Frage nun „The West vs. The Rest“ (Samule P. Huntington). Die ganze Welt sollte das „alternativlose“ westliche System übernehmen und die traditionellen Gesellschaften endlich auf dem Friedhof der Geschichte verschwinden. Alles was nicht westlich ist, stellt in den Augen der Globalisierer nur einen „unfertigen“ Westen dar und muss über kurz oder lang die westlichen Werte übernehmen. Diese Tatsache kennzeichnet den Übergang von der bipolaren zur unipolaren Welt am deutlichsten.
Die Vierte Politische Theorie Alexander Dugins bietet einen Ausweg aus der totalen Verwestlichung der Welt als Konsequenz der unipolaren Misere: Eine multipolare Welt der verschiedenen Zivilisationen, welche dem Liberalismus als letzten Erben der Moderne eine Absage erteilt. Wie genau diese Multipolare Welt aussehen soll und welche Bedeutungen sie für Europa hat, wird in einem der folgenden Beiträge erläutert werden.