Damjanov: Konservatismus als Bedingung für Entwicklung

Plamen Damjanov

Nicht alles Neue ist besser als das Alte

(Gekürzte Fassung von “Konservatismus als Bedingung für Entwicklung”)

Philosophische Betrachtungen über die sozialen Veränderungen in Bulgarien

Der Konservatismus als Grundvoraussetzung für die positive Entwicklung eines Volks. Der Fortschritt als Rückschritt

Die Erhaltung der wesentlichen Bestandteile eines bestimmten sozialen Systems ist die Bedingung seiner Entwicklung. So werden Bedingungen für qualitative Veränderungen geschaffen, während manchmal revolutionäre Veränderungen, die bestimmte gesellschaftliche Strukturen und Traditionen zerstören, nicht zu einer Entwicklung, sondern sogar zu einem Rückschritt führen. In vielen Fällen gewährleisten Unbeständigkeit und sinnlose Reformen nicht die Stabilität, die die Bedingung für das Auftreten neuer Ideen in der Wissenschaft, für den Aufbau wirksamer gesellschaftlicher Strukturen und harmonischer Beziehungen unter den Menschen ist. So hat der Konservatismus seine tiefe Begründung im natürlichen Wesen des Menschen, von dem Ryszard Legutko glaubt, dass „im Grunde der Konservatismus eine unveränderliche menschliche Notwendigkeit ist und ein natürlicher Reflex, dass das, was existiert, erhalten wird.“1 Der Konservatismus ist ein notwendiger positiver Faktor für die Aufrechterhaltung und Entwicklung der gesellschaftlichen Systeme.

Ein starker Staat als Grundlage für das Überleben eines Volkes

Die historische Erfahrung zeigt, dass ein Volk, das im Kampf um die Existenz überleben will, einen starken Staat braucht. Die neuen Technologien sind nur ein Mittel zur Erreichung der Hegemonie der einen Völker über andere. Für den Erfolg eines Landes ist ein entwickeltes wirtschaftliches und soziales System notwendig, das durch die Bewahrung und Verbesserung seiner strukturellen Elemente, aber nicht durch seine Zerstörung erreicht wird.

Das ist besonders für die Entwicklung der Wissenschaft wichtig. In diesem Zusammenhang sagte der große bulgarische Wissenschaftler Azarja Polikarov, dass „in der Wissenschaft ein gesunder Konservatismus notwendig ist“2. Ich würde verallgemeinern, dass er nicht nur dort, sondern in jedem Bereich notwendig ist, d. h. dass das Neue, wenn es besser ist, sich in der Praxis durchsetzen muss, und nicht vorbehaltlos angenommen wird. Die Erfahrung zeigt, dass es „Revolutionäre“ gibt, die neue, aber törichte Ideen hervorbringen. Wenn sie im Leben verwirklicht werden, führen sie zu großem Unheil.

In Bulgarien wurden wir nach 1989 Zeugen einer Fülle von radikalen „Reformen“, die die Strukturen des bulgarischen Staates – Wirtschaft, Sicherheitssystem, Wissenschaft und Volksbildung – zu Grunde richteten.

Wissenschaft als Selbstzweck: Halbgebildete und “Intellektuelle” statt wahrhafter Volksbildung

In der Wissenschaft existiert heute eine schädliche Konzeption. Eine Reihe von „Neuerern“ behauptet, dass die gegenwärtige wissenschaftliche Tätigkeit nicht mehr die Frucht eines individuellen Schaffens, sondern das Resultat der Bemühungen vieler Forscher verschiedener Gebiete ist. Es könne bereits nichts Großes mehr von einer einzelnen Persönlichkeit geschaffen werden, wie zur Zeit von Aristoteles, Newton, Hegel, Mendelejew, Einstein u. a. Es setzt sich der Unglaube an die Kraft der kreativen Persönlichkeit und die Überzeugung durch, dass nur die „kollektive Vernunft“ etwas Neues in der Wissenschaft hervorbringen könne. Infolge dessen gebe es keine Kolosse mehr. In Bulgarien gebe es ebenfalls keine Autoritäten wie Todor Pavlov, Georgi Nadžakov und Azarja Polikarov mehr.3 Als Ergebnis der jetzigen Politik ist die qualitative Volksbildung in Bulgarien unterbewertet, es fehlen kreative Persönlichkeiten auf Kosten einer großen Zahl von Halbintellektuellen, die den Anspruch auf ein leichtes Leben erheben.

Die Zivilgesellschaft kann unsere Kultur nicht retten

Obwohl die Schaffung neuer Technologien ein Team von Gelehrten und Spezialisten erfordert, waren die grundlegenden Ideen in jedem wissenschaftlichen Gebiet immer das Werk der individuellen schöpferischen Vernunft und werden es immer sein. Dasselbe bezieht sich auch auf das gesellschaftlich-politische Leben. Welche „neuen Werte“ auch immer propagiert werden, so kann keine Zivilgesellschaft die großen Führer und Denker ersetzen. In der Zeit der Informationstechnologien und der Missachtung der Traditionen sind wir in Bulgarien Zeugen von Pseudoführern, die nicht in der Lage sind, auch nur ein einziges großes Problem in unserem Land zu lösen.

Modernisierung und Liberalisierung: Die Totengräber Bulgariens

Die Idee, dass jede Veränderung und jede Neueinführung besser ist als das Alte, ist falsch. Wie gesagt, gab es nach 1989 in Bulgarien eine Reihe von „Reformen“, die mehr als einen Bereich zugrunde richteten. So wurden z. B. in der Landwirtschaft die Genossenschaften zerstört, was zu einer beträchtlichen Verminderung der Obst- und Gemüseförderung sowie zu einem richtigen Zusammenbruch der Viehzucht führte. In der Industrie wurde die Deindustrialisierung und die Schließung von Energiekapazitäten durchgeführt (der dritte und vierte Block des AKW Kozloduj wurden geschlossen), und in der Armee wurde die Militärdienstpflicht abgeschafft. In der Volksbildung und Wissenschaft wurde eine Menge Unheil angerichtet, zuletzt durch das „Gesetz für die Entwicklung des akademischen Personals in der Republik Bulgarien“ von 2010, das zur Entwertung der wissenschaftlichen Grade und Titel und dementsprechend zu einer starken Verringerung des Niveaus der bulgarischen Wissenschaft führte.

Konservativismus statt Liberalismus

Veränderungen sind manchmal nötig, aber sie müssen überlegt sein und geboren werden aus der Unmöglichkeit, dass das Alte erfolgreich funktioniert, aber nicht aus „Innovation“ als Selbstzweck. Der Konservatismus lehnt die revolutionären Veränderungen nicht ab, wenn sie notwendig sind und die Zersetzung und den Rückschritt aufhalten, d. h. daß manchmal ein „revolutionärer Konservatismus“ notwendig ist. In Übereinstimmung damit sind auch die Worte des russischen Philosophen Nikolaj Berdjajew, dass „das konservative Prinzip von sich aus nicht der Entwicklung entgegengesetzt ist, sondern nur erfordert, dass die Zukunft nicht die Vergangenheit vernichtet, sondern ihre Entwicklung fortsetzt.“ Er lehnt destruktive Veränderungen kategorisch ab und warnt: „Unglücklich ist das Schicksal eines Volkes, das seine Geschichte nicht liebt und sie von Neuem beginnen möchte.“4

Die Reform als Mittel zur Zerstörung der Kultur

Wir beobachten aber verschiedene „Neueinführungen“, nicht nur in osteuropäischen Ländern wie Bulgarien, sondern auch in entwickelten westlichen Staaten. Dort beseitigen verschiedene Reformer mit leichter Hand seit Jahrhunderten bestehende Traditionen in der Gesellschaft und führen „neue Werte“ ein, wie die Propaganda der sexuellen Perversionen, die Verminderung der Rolle der Familie und die Ablehnung des Nationalstaates.

Das Land als erstes Opfer der Modernisierung

Ein anderes Problem, das aus der Zerstörung der traditionellen Werte in der Gesellschaft entsteht, ist die Entvölkerung der Dörfer und kleinen Städte in Bulgarien und in anderen europäischen Ländern. Die tausendjährige historische Erfahrung zeigt, dass die Landbevölkerung der grundlegende Bestandteil jedes Volkes ist. Sie ist die genetische Kraft der Nation und die Garantie für die Bewahrung der Traditionen und ihrer moralischen Grundpfeiler. Aber infolge der Verminderung der Landbevölkerung ist eine Reihe von europäischen Staaten, die an Mangel von Arbeitskräften leiden, gezwungen, solche aus anderen Staaten einzuführen. Das schafft ernsthafte Probleme mit der nationalen Identität der Völker in Europa. Die nationale Gemeinschaft muß, um zu existieren und sich zu entwickeln, nicht nur Intellektuelle sondern auch Werktätige haben. Leider berauben sich die Staaten der EU selbst ihrer Wurzeln. Die Nation ist wie ein Baum – er kann nicht Blätter und Früchte ohne Wurzeln im Boden haben.

Der Kampf der Globalisten gegen Bulgariens slawisch-byzantinische Wurzeln

Die technische Entwicklung erfordert keine Entpersönlichung der kulturellen Merkmale und Traditionen. Die Globalisten arbeiten methodisch an der Lostrennung Bulgariens von ihrem slawisch-byzantinischen kulturellen Raum. Gerade deshalb müssen wir skeptisch sein, wenn man uns die Chimäre einer „Welt ohne Grenzen“ serviert.

Der Kampf der Globalisten gegen die bulgarische Kultur ist ein Kampf gegen die sittlichen Werte der Nation

Die bulgarische Kultur, geschaffen von großen Schriftstellern und Dichtern wie Christo Botev, Ivan Vazov, Jordan Jovkov, Emilijan Stanev, Nikola Vapcarov und vielen anderen, brachte wahre sittliche Werte hervor. Aber die Diener des Kosmopolitismus und Internationalismus bemühen sich unaufhörlich, das nationale Bewußtsein der Bulgaren auszuhöhlen, und versuchen, diese Persönlichkeiten, ja sogar den Apostel der Freiheit, Vasil Levski, zu verleumden.5 Ausländische Agenten, die gegen Bulgarien arbeiten, haben das Ziel, das die Bulgaren die grundlegende Orientierung für Gut und Böse verlieren, indem sie es für normal halten, daß sie beraubt und erniedrigt werden. Im Widerspruch zu den traditionellen Werten wird ihnen die Toleranz gegenüber den sexuellen Perversionen, der Kriminalität und der sozialen Ungerechtigkeit suggeriert.

Bulgarien seit 1989 – Amoklauf gegen das soziale Leben

Die traditionellen Werte wurden in Bulgarien nach der „Wende“ von 1989 nicht bewahrt, sondern es wurden im Gegenteil die guten Dinge zerstört, die es im wirtschaftlichen wie auch im sozialen und kulturellen Bereich des bulgarischen sozialen Lebens gegeben hatte.

Dozent Dr. Plamen Damjanov, Institut für die Erforschung der Gesellschaft und des Wissens (IIOZ) der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, Sofia. Gekürzte Fassung eines Vortrags über das Thema „Der Konservatismus als Bedingung für Entwicklung“ auf der internationalen Konferenz „Die Philosophie in der postmodernen Situation – Beiträge und Perspektiven“ an der Universität „Hll. Kyrill und Method“, Veliko Tǎrnovo, Bulgarien.

1 Ryszard Legutko, The Demon in Democracy. Totalitarian Temptations in Free Societies. 2016.

2 Azarja Polikarov (1921-2000), bulgarischer Philosoph und Physiker, Akademiemitglied.

3 Todor Pavlov (1890-1977), bulgarischer Philosoph, „Die Widerspiegelungstheorie“, Berlin 1973; Georgi Nadžakov (1896-1981), bulgarischer Physiker, Gründer des Instituts für Physik in Sofia.

4 Nikolaj Berdjajew (1874-1948), Filosofija neravenstva [Philosophie der Ungleichheit], Wahrheit und Lüge des Kommunismus, Luzern 1923; Za konservatizma [Über den Konservatismus], Panorama, Sofia, 1992, 3-4, S. 68.

5 Vasil Levski, Diakon, Ideologe der bulgarischen Befreiungsbewegung, am 18. Februar 1873 in Sofia hingerichtet.

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