Ist die Neue Rechte antidemokratisch?

Ist die Neue Rechte antidemokratisch?

 

Wenn der Neuen Rechten eines gleichermaßen von linker und rechter Seite vorgeworfen wird, dann ist es eine Gegnerschaft zur Demokratie. So herrscht auf der radikalen Linken in Österreich spätestens seit Hans-Henning Scharsachs Anti-FPÖ-Büchern die Interpretation der Neuen Rechten als populistischer Bewegung vor, welche mit neuen Inhalten den Nationalsozialismus modernisieren und die Demokratie Schritt für Schritt in den totalen Volksstaat verwandeln will. Aber auch auf Seiten der Alten Rechten existieren Vertreter wie Tomislav Sunic, der (aus einer bejahenden Perspektive) behauptet, dass die Neue Rechte gegen Gleichheit und Demokratie gerichtet sei. Doch ist das wirklich der Fall?

Sucht man nach Denkern innerhalb der Neuen Rechten, welche sich ausführlich zur Demokratie geäußert haben, stößt man auf Alain de Benoists Buch „The Problem of Democracy“, den zweiten Band von Alexander Dugins Werk „The Fourth Political Theory“ und Paul Edward Gottfrieds „Multikulturalismus und die Politik der Schuld.“.

Das 1985 erschienene Werk Benoists, welches im französischen Original wesentlich radikaler als „Démocratie – le problème“ (Demokratie – das Problem) betitelt wurde, beginnt mit der Frage nach dem Ursprung und eigentlichen Wesen der Demokratie.

Denn für die Demokratie wird im 21. Jahrhundert gekämpft und gestorben, kritisiert oder hinterfragt man sie, führt das im Westen zum gesellschaftlichen Tod. Und bis zum Ende des Kalten Krieges verstanden sich die Volksdemokratien des Warschauer Paktes noch als die wirklichen Demokratien im Vergleich zu den „formalen“ Demokratien des Westens.1 Gerade weil das Wort Demokratie in vielen gegensätzlichen Zusammenhängen verwendet wird, ist sein eigentlicher Begriffsinhalt unbestimmt:

„The surreal beauty that this generic noun implies, based on the specific time and place of its user, can mean everything and nothing at the same time.“2

 

Was ist Demokratie?

Doch was ist eigentlich Demokratie? Zunächst muss man sich von der Vorstellung verabschieden, dass die Demokratie eine spezifisch moderne und die fortschrittlichste sowie entwickeltste Regierungsform ist. Vielmehr treffen wir auf demokratische Elemente oder Regierungsformen in allen Epochen der Geschichte.3 Was hingegen wenig beachtet wird ist, dass die Demokratie in Europa im Vergleich zum Orient stark verwurzelt ist. So war der Despotismus auch im antiken Europa im Vergleich zum Nahen Osten eine seltene Ausnahme, nicht die Regel. Wir finden bei allen indogermanischen Gemeinschaften, über das antike Rom und Griechenland bis hin zu den Hethitern Volksversammlungen als Mittel zur militärischen und zivilen Organisation. Auch die Monarchien enthielten in Form des Wahlkönigtums, bei dem der König gewählt wurde, demokratische Elemente. Das älteste Parlament der Welt, das isländische Althing tagte zum ersten Mal im Jahr 930. Die Demokratie wurde demnach nicht nur von Griechenland, sondern auch von Skandinavien stark geprägt. Dabei war die Demokratie stets auf die freien und waffenfähigen Männer beschränkt. Wichtig war in diesem Zusammenhang die Tradition des Zusammenlebens, welche die gemeinsamen Interessen der Menschen über alles gestellt hatte. Gleichzeitig waren diese demokratischen Traditionen nicht egalitaristisch, sondern hierarchisch aufgebaut, es handelte sich also um eine aristiokratische Form der Demokratie. Schon im Mittelalter war dabei die Idee virulent, dass die Macht zwar von Gott kommt, aber dem Herrscher nur indirekt über das Volk vermittelt wird („vox populi vox dei“). Damit wurde einerseits die Macht als etwas indirekt von Gott Vermitteltes beschrieben, ohne das Volk selbst in eine Abstraktion zu verwandeln. Dieser Gedanke führte schließlich bei Marsilius von Padua zur Idee der Volkssouveränität.4 Der Freiheitsgedanke drückte sich dabei auch in der Bauernfreiheit aus, welche man nicht nur in Friesland, sondern auch Österreich, dem deutschsprachigen Raum, Skandinavien, der Schweiz und dem Nordseeraum vorfand. Weiters schlossen sich die Menschen zu Gilden und Zünften zusammen, um mit gegenseitiger Unterstützung ökonomische und politische Ziele zu verfolgen.

 

Demokratie und Systemfrage

Dabei wurden die antiken Herrschaftssysteme schon von ihren Zeitgenossen als Mischformen mehrerer Systeme charakterisiert. So war nach Aristoteles die Verfassung des Solons aufgrund des Areopagus (Ältestenrates) oligarchisch, wegen der Magistrate aristokratisch und demokratisch wegen der Zusammenstellung der Tribunale. Nach Polybius war Rom hinsichtlich der Macht der Konsuln eine Wahlmonarchie, in Bezug auf die Macht des Senats eine Aristokratie und in Hinblick auf die Rechte des Volkes eine Demokratie. Die Demokratie im weiteren Sinne kann also auch in einer Monarchie verwirklicht werden und ist nicht auf die Republik beschränkt, wie auch Papst Pius XII. feststellte.5 Stellt man also die Frage nach der eigentlichen Bedeutung der Demokratie, muss man nicht auf die Epoche der Aufklärung blicken, wo der Begriff im 18. Jahrhundert zum ersten Mal seit der Antike wieder auftaucht, sondern vielmehr in das antike Griechenland. Dort wurde sie 460 vor Christus fest etabliert, als sie mit den Reformen des Cleisthenes ihren Gründungsmoment erlebte. Die attische Demokratie überdauerte 150 Jahre. In diesem Zeitraum wurde sie vor allem mit der quasi-monarchischen Herrschaft des Perikles besonders populär, welche für mehr als 30 Jahre über die Stadt herrschte. Die Griechen definierten die Demokratie dabei vor allem in Abgrenzung zu den beiden anderen Systemen der Tyrannis und der Aristokratie. Ihre drei Voraussetzungen waren dabei die Isonomie (Gleichheit vor dem Recht), Isotimie (jeder hat das Recht alle öffentlichen Ämter zu bekleiden) und Isegorie (Meinungsfreiheit). Während die boule (Rat) eine beratende Funktion einnahm, stimmten alle Bürger in der ekklesia über die wichtigen Angelegenheiten der Polis ab. Daher war die attische Demokratie dem heutigen Verständnis nach eine direkte Demokratie. Das Volk herrschte, anstatt von gewählten Individuen beherrscht zu werden. Ein weiteres wichtiges Element der antiken Demokratie ist, dass bei ihr demos und ethnos bis zu einem gewissen Grad zusammenfallen.

 

Demokratie und Liberalismus – zwei gegensätzliche Begriffe

Die Demokratie definiert sich nicht in ihrer Beziehung zum Individuum, sondern in ihrer Beziehung zur Polis, also der Stadt als organisierter Gemeinschaft. Die Sklaven waren nicht von ihr ausgeschlossen, weil sie Sklaven, sondern weil sie keine Bürger waren. Dies bedeutete auch, dass Bürgerschaft, Freiheit, gleiche politische Rechte und Volkssouveränität eng miteinander verbunden waren. Die Bürger wurden dabei über ihre Herkunft definiert: So war Perikles der Sohn des Xanthippus aus der Deme Cholargus. Ab 451 vor Christus konnte nur attischer Bürger werden, wer einen attischen Vater und eine attische Mutter als Eltern hatte. Bürger zu sein bedeutete, zu einem Stück Heimatland dazuzugehören – also sowohl zu einem Stück Land, als auch zu dessen Vergangenheit. Man wurde als Athener geboren und konnte nicht einfach dazu werden, wenn man von raren Ausnahmen absieht. Dementsprechend wurden auch Ehen mit Menschen von außerhalb abgelehnt. Die Demokratie war also in der Realität der autochthonen Bürgerschaft verwurzelt, ihre Ausübung an die gemeinsame Herkunft jener gebunden, welche sie ausübten, ebenso wie die politische Gleichheit. Auch der Freiheitsbegriff innerhalb der attischen Demokratie hatte eine andere Bedeutung, als in unserer westlich-liberalen Ausformung. In Athen war die Freiheit immer die Freiheit zur Mitgestaltung der politischen Gemeinschaft – nicht die Loslösung von dieser. Die Grundlage der Freiheit der Bürger einer Stadt war dabei auch immer die Freiheit der Stadt selbst. Die Souveränität (kollektive Freiheit) war die Grundlage der individuellen Freiheit. Ein weiterer wichtiger Unterschied zur liberalen Demokratie bestand darin, dass die Gleichheit nicht der Zweck der Demokratie war, sondern lediglich ihr Mittel. In seiner Beurteilung der Demokratie verweist Benoist darauf, dass das Studium der attischen Demokratie zu den verschiedensten Urteilen geführt hat: Während die einen Forscher sie als Musterbeispiel für bürgerliche Teilhabe darstellen (Francesco Nitti), wird sie bei anderen als totalitäres System betrachtet (Giovanni Sartori).6 Den Fehler, den aber alle Autoren begehen, ist die antike Demokratie mit den Maßstäben der liberalen Demokratie zu beurteilen, was insofern absurd ist, als dass die Idee der Demokratie in der Antike entstanden ist. Wenn wir also die Frage nach der eigentlichen Demokratie stellen, dann lautet die Antwort, dass es die attische Demokratie war, nicht der Liberalismus. Während die attische Demokratie auf der Idee einer organischen Gemeinschaft basiert ist, fußt der Liberalismus auf der Idee des Individuums. Die der eigentlichen Demokratie zu Grunde liegenden Begriffe von Stadt, Volk, Nation und Freiheit wurden im Liberalismus ihrer eigentlichen Bedeutung beraubt und pervertiert. Der Grund für das Funktionieren der griechischen oder isländischen Demokratie war dabei nicht die kleine Zahl an Menschen, welche sie umfasste, sondern die kulturelle Kohäsion und das Bewusstsein für eine gemeinsame Herkunft.7 Wenn man sich die Frage stellt, wie man im 21. Jahrhundert eine echte Demokratie etablieren kann, dann ist nicht die „face-to-face“ Demokratie um den Willen der sozialen Transparenz die Antwort. Vielmehr muss es nach Alain de Benoist darum gehen, einen Begriff von Volk und Gemeinschaft wiederzubeleben, welcher bis heute unter den Trümmern von Liberalismus, Aufklärung und Moderne verschüttet ist. Soweit zur Entstehung der Demokratie – doch welche Position nimmt nun Benoist zur Demokratie im 21. Jahrhundert ein?

 

Vom Liberalismus zur organischen Demokratie

In seinen Ausführungen über eine Reform der „westlichen Demokratien“ schlägt Benoist eine Wiederherstellung der Identität von Regierenden und Regierten vor, die Rückkehr zur Organischen Demokratie. Der einfachste Weg hierzu sei, dass Volk aus seiner Apathie zu reißen und es wieder verstärkt in den politischen Prozess einzubinden, einerseits mittels Selbstverwaltung auf regionaler Ebene, andererseits mittels Referenden. Während Ersteres die (Wieder-)Einbindung des Volkes in den politischen Prozess bedeutet und dem Prinzip der Subsidarität folgt, bedeutet Zweiteres, dass es sich wieder mit den Herrschenden identifizieren kann.

Demokratie und Liberalismus sind nicht ein und dasselbe. Die Demokratie ist vor allem eine Kratie, also Form der Herrschaft. Um sich aber von dieser Herrschaft wieder vertreten zu fühlen, müssen die Bürger selbst wieder an ihr partizipieren können. Partizipation heißt, an etwas teilnehmen, also Teil einer Gemeinschaft zu sein. Dabei ist es nicht nur ein Recht des Bürgers, an der Demokratie teilzunehmen, sondern seine Verpflichtung. Nicht umsonst war für antike Staatsmänner wie Perikles klar: Ein Bürger, der nicht an der Demokratie teilnimmt, ist nutzlos. Auch an der Pflicht zur Teilnahme und dem sich Einbringen liegt ein wesentlicher Unterschied zur liberalen Demokratie:

„Democracy, in its most essential features thus stands in open contrast to the liberal legitimisation of political apathy, which it is difficult not to regard as a negation of popular sovereignity. But democracy is also incompatible with liberal principles in other respects. As a form of political authority, democracy cannot accept that this be made subject to the control of the economy and of its representatives. Democracy is founded on the principle of equality of political rights, which is something quite different from the belief in the natural equality of beings. Finally, it bases politcial rights on citizenship, therefore implying that individuals are primarily defined by their identity as belonging to a community. There can be no democracy without a people, a nation, or city – since these are not transient structures or insignificant conglomerates, but the choice settings for democratic practice. Democracy is simply that form of government in which the greatest number of people can take part in public life. So it is not institutions that make democracy, but rather the people’s participation in institutions. Popular sovereignty is expressed through everyone’s participation. The maximum of democracy coincides with the maximum of popular participation.“8

In Abgrenzung zur liberalen Demokratie des Westens und den Volksdemokratien des ehemaligen Ostblocks sieht Alain de Benoist in einer logischen Fortentwicklung der griechischen Demokratie den Schlüssel zur Rettung der Demokratie. Während die liberale Demokratie die Freiheit von der Gemeinschaft zum Selbstzweck erhebt und die Volksdemokratie die totale Gleichheit ihrer Bürger um jeden Preis anstrebt, soll nach Benoist in der organischen Demokratie die Brüderlichkeit dominieren. Damit meint er nicht die internationalistische Form der Brüderlichkeit, welche sich stets als hohle Phrase erwiesen hat, sondern eine Form der Franternität, die an Kulturen, Völker und Nationen gebunden ist. Diese soll als Basis für Solidarität und soziale Gerechtigkeit, Patriotismus und demokratische Teilhabe dienen.

Angesichts der Demokratietheorie Benoists steht also das Bekenntnis der Neuen Rechten zur Demokratie außer Zweifel. Das Verhältnis des Liberalismus zur Demokratie ist hingegen wesentlich kritischer zu betrachten.

1Vgl. Alain de Benoist: The Problem of Democracy, Arktos 2011 S.13

2Alain de Benoist: The Problem of Democracy, Arktos 2011 S.9

3Vgl. ebenda, S.14

4Vgl. Benoist 2011 S.17

5Vgl. Benoist 2011 S.19

6Vgl. Benoist 2011 S.27

7Vgl. ebenda S.28

8Alain de Benoist: The Problem of Democracy. Arktos 2011. S.96

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