Kissinger: Weltordnung – Rezension

Kissinger: Weltordnung – Rezension

Am 27.05.2017 feierte Henry Kissinger seinen 94. Geburtstag. Den Hinterbliebenen der 30.000 Opfer der argentinischen Militärjunta und den Angehörigen der 200.000 Opfer der amerikanischen Bombardements in Kambodscha war nicht zum Feiern zu Mute.

Doch umso mehr sollten wir Europäer uns mit diesem schillernden Gesicht des amerikanischen Imperialismus beschäftigen – dies nicht zuletzt um Donald Trumps Hirn und dessen Außenpolitik besser verstehen zu können. Sein Naheverhältnis zum aktuellen Präsidenten der USA wurde mittlerweile nicht nur in den Staaten bemerkt.

Denn Kissinger ist nicht nur als massenmordender Friedensnobelpreisträger bekannt, sondern auch als Buchautor. Nach dem Tod Brezinskis am selben Tag handelt es sich bei ihm um den bekanntesten amerikanischen Geostrategen. 2014 erschien sein jüngstes Buch „Wold Order“ (Weltordnung), in welchem sich Kissinger mit der gegenwärtigen unipolaren Weltordnung beschäftigt, für ihren Erhalt plädiert und seine Ansichten zu IS, Iran und Russland darlegt.

In diesem eröffnet der rustikale Völkerrechtsbrecher tiefe Einblicke in die Psyche des neuen geostrategischen Establishments in Washington.

Vom Westfälischen Frieden bis zum Islamischen Staat

Bei seinem Buch handelt es sich mehr um eine große historische Erzählung, die bei der Analyse der Gegenwart sehr vage bleibt, denn in seinem Werk spannt Kissinger einen großen Bogen vom 17. Jahrhundert bis hin zur Gegenwart.

Dabei ist der nach dem westfälischen Frieden 1648 entstandene staatliche Pluralismus in Europa für ihn der Grund dafür, warum sich schließlich eine aufgeklärt-pluralistische Gesellschaft in Europa entwickeln konnte.

Das Machtgleichgewicht in Europa habe eine Entwicklung hin zu einem aufgeklärten Denken gefördert, die Hegemonialbestrebungen einer einzigen Macht, wie etwa jene Chinas in Ostasien, hätten eine solche verhindert.

Die besondere Rolle der USA sieht er dabei darin, dass diese die einzige Nation gewesen seien, die nicht nur aus nationalem Interesse, sondern vor allem aus dem Idealismus ihrer universalistisch-liberalistischen Ideologie gehandelt haben.

Er sieht dabei die universalistischen Werte der USA nur insofern kritisch, als dass sie dem außenpolitischen Erfolg der moralisch überlegenen Hypermacht im Wege stehen.

Dabei sind in seinen Augen die USA seit Woodrow Wilson

im Spannungsfeld zwischen einer idealistischen und einer realistischen Ausrichtung der Außenpolitik. 

Ansichten eines Völkerrechtsbrechers

Im Vergleich zu neokonservativen Autoren wie Brzezinski ist dabei Kissingers in seinen Einschätzungen zum Teil sehr erfrischend, was aber dann nur zwei Seiten später ins menschenverachtend-absurde abgleitet:

Die amerikanische Niederlage erklärt er sich nicht über die zahlreichen Kriegsverbrechen, welche die Vietnamesen in die Hände des Viet Cong trieben, sondern über einen Dolchstoß durch „gewalttätige Studenten“ an der Heimatfront. Georg W. Bush, der ohne völkerrechtliche Legitimation in den Irak einmarschierte, wird von ihm über den grünen Klee gelobt – von den nicht vorhanden Massenvernichtungswaffen redet er kein Wort.

Bei der politischen Feindbestimmung ist Kissinger schnell: Nicht der IS sei das größte Problem der USA im Nahen Osten, sondern der Iran, da dieser sich als Theokratie außerhalb der Westfälischen Ordnung positioniere und Atomwaffen anstrebe. Doch abseits von seiner deutlichen Positionierung zum Iran und der Bestimmung Chinas als großem (zukünftigen) Gegner der USA bleibt Kissinger stets vage und undeutlich.

Letztlich geht es ihm aber vor allem um eines, nämlich darum, die unipolare Weltordnung der USA aufrechtzuerhalten, wenn nötig auch durch kleine Zugeständnisse an politische Rivalen. Dass Russland und der Iran den USA weiterhin ein großer Dorn im Auge sind und er kein vom Westen emanzipiertes Europa wünscht, darin lässt Henry Kissinger aber keinen Zweifel.

Woran kein Zweifel besteht: Als patriotischer Europäer kann man Kissingers „Weltordnung“ nur ablehnen, da sie nichts anderes, als die Vorherrschaft des Amerikanischen Empires will. Der US-amerikanische Imperialismus bleibt auch unter Donald Trump systemimmanent.

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